Wie ich Rabbinerin wurde
Festhalten am
Bund Gottes
, dieser ewige Klang, selbst noch nach Auschwitz, mit dem die Kantoren die Synagogen dieser Welt füllen, der mich beim Hören von Nachamas Stimme plötzlich so sehr schmerzt, dass ich den Rest des Gottesdienstes weine.
Zugleich nehme ich teil an den regelmäßigen Zusammenkünften der
Jüdischen Gruppe
. Ihre Sprecherin, Alisa Fuss, die sich auch in der
Liga für Menschenrechte
engagiert, hat die Gruppe 1982 aus Protest gegen den israelischen Libanonkrieg gegründet, womit sie jedoch in den Augen der Gemeindegesellschaft als »antizionistisch« diskreditiert ist. Ich stimme den politischen Positionen der Gruppe in Bezug auf Israel nur bedingt zu, genieße aber ihr offenes Diskussionsklima. Die Mitglieder kritisieren öffentlich den autoritären Führungsstil des Berliner Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski. Dieser duldet keine oppositionellenStimmen in den eigenen Reihen. Damit geht unter anderem auch häufig ein grober Ton der Gemeindemitarbeiter einher. Mehrere Mitglieder der
Jüdischen Gruppe
fühlen sich deswegen verletzt und sind aus der Gemeinde ausgetreten oder wollen gar nicht erst eintreten. Ich kenne das Seufzen über die mangelnde demokratische Kultur in der Gemeinde schon aus Hamburg. Ihr Vorsitzender verhält sich nicht weniger autoritär, wehrt Anstöße für eine Erneuerung sofort ab und fördert ein beklemmendes Klima, in dem sich viele nicht willkommen fühlen. Gleichwohl werden er und Galinski immer wieder mit überdeutlichen Mehrheiten gewählt.
Die »Jüdische Gruppe« hat zwar keinen Einfluss in der Gemeinde, aber sie ist ein Forum für interessante Diskussionen unter jüdischen Linksintellektuellen in Berlin. Zu einem Treffen kommt Mario Offenberg, der zu diesem Zeitpunkt einen Kampf für das Wiedererstehen der einstigen modern-orthodoxen »Austrittsgemeinde« Adass Jisroel führt. Es geht dabei auch um die Rückgabe von Grundstücken, die nach der Schoa der großen »Einheitsgemeinde« übertragen worden sind. Der Streit – Galinski will keine zweite Gemeinde mit dem Status einer »Körperschaft des öffentlichen Rechts« – bringt für mich etwas von den jüdischen Koordinaten Berlins vor der Schoa wieder zum Vorschein. Adass Jisroel hat sich 1869 gegründet und den modernen gesetzestreuen Juden eine Alternative zur großen, eher liberalen Jüdischen Gemeinde geboten. Offenberg wird am Ende vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen Galinski obsiegen.
Anfangs suche ich noch Leute, die mir einen Ersatz für meine Hamburger
Jeschiwa
bieten könnten. Bald gebe ich dies jedoch auf. Die Bibel auf Hebräisch zu lesen weckt in meinen Kreisen keine Leidenschaft. Dennoch trifft mich eine Bemerkung meiner Freundin Maya Oschitzki, die mir fortan nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. Ich habe Maya bei einer Pressekonferenz kennen gelernt. Heute gehört sie dem Vorstand der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft
an. Damals liegt sie in denletzten Zügen ihres Studiums der Medienwissenschaft und absolviert gerade ein Praktikum beim
Spandauer Volksblatt
. Es ist zunächst nur das journalistische Interesse, das uns verbindet. Die Aktivitäten der
Jüdischen Gruppe
bewertet sie kritisch und kann nicht nachvollziehen, warum ich zu den Treffen gehe. Aber wenn ich über meine Erkenntnisse aus der Hebräischen Bibel spreche, wird sie jedes Mal ganz aufmerksam. Maya ist es, die mich eines Tages in einem solchen Moment plötzlich unterbricht und sagt: »Merkst du gar nicht, wie du anders wirst, wenn du über solche Themen sprichst? Du hast dann eine ganz andere Überzeugungskraft. Du solltest auf dieser Schiene unbedingt weitermachen.«
Im April 1987 überrascht mich der plötzliche Tod Lilos. In ihrem Haus in den Niederlanden bricht nachts ein Brand aus. Wahrscheinlich hat sie nicht gelitten, sondern ist von den Brandgasen ohnmächtig geworden, bevor das Feuer sie erfasst.
Während dies geschieht, befinde ich mich in Südspanien.
Auf dem Weg dahin habe ich mit einer Freundin in Düsseldorf Halt gemacht und Lilo zum letzten Mal gesehen. Ihre psychischen Probleme verbinden sich inzwischen mit den verschiedensten körperlichen Leiden, die alle nicht heilen, für deren Heilung Lilo aber auch nichts tut. Unter diesen Bedingungen hat es in den letzten Jahren keine wirkliche Begegnung mehr zwischen uns gegeben. Zu Konrads Teilnahme an einer Ausstellung von westdeutschen Künstlern in Ostberlin kommt sie noch mit. Ich habe hierzu eine Einladung von der Ständigen Vertretung der
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