Wie ich Rabbinerin wurde
des
Zentralrates der Juden in Deutschland
ist, stellt mich ein, damit ich »frischen Wind« in die angestaubte Berlinseite der Zeitung bringe. Ich kündige noch in der Probezeit, enttäuscht von der Zensur und dem Zwang zur Hofberichterstattung.
In die Jüdische Gemeinde zieht mich danach kaum etwas. Nur aus Zeitungen erfahre ich, dass sich die West- und Ostgemeinde vereinigen – dass Zehntausende Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland einreisen und gesetzliche Einwanderungsmöglichkeiten für sie geschaffen werden,dass sich die Zahl der Berliner Gemeindemitglieder mit den Neuzuwanderern von 6000 vor dem Fall der Mauer auf 12000 bis Mitte der 90er Jahre verdoppelt. Dem Gemeindebulletin entnehme ich, dass ihre soziale Integration oberste Priorität genießt. Doch von den neuen Mitgliedern bekomme ich lange kaum etwas mit. Im Gemeindebulletin lese ich über eine oppositionelle Liste, die zu den Gemeindewahlen antritt. Ich kann mich jedoch nicht entschließen, zu ihren Treffen zu gehen. Das liegt unter anderem an den Feindseligkeiten zwischen ihr und der Galinski-Liste, die zunehmend auch die Mitteilungen des Gemeindebulletins bestimmen. Mir missfällt der polemische Ton, der sich zunächst gegen Galinski richtet und dann nach seinem Tod 1992 in gleichem Maße gegen seinen Nachfolger Jerzy Kanal.
Zu den Treffen der
Jüdischen Gruppe
gehe ich nur noch selten. Das liegt an einer Debatte über die Zukunft der Gruppe. Erfolglos setze ich mich dafür ein, dass sie sich statt den ewig wiederkehrenden Themen – Protest gegen die Gemeinde, Protest gegen den Antisemitismus, Protest gegen die Politik Israels – künftig verstärkt den Inhalten der jüdischen Religion von einem modernen Standpunkt aus zuwendet. Außer mir wünschen dies auch einige andere der jüngeren Mitglieder. Zusammen mit Ian Leveson stelle ich eine Liste von möglichen Themen auf. Als Erstes laden wir Eveline Goodman-Thau in die Gruppe ein. Zu dem Treffen kommt jedoch nur eine Handvoll Leute. Die älteren Mitglieder, die tragenden Säulen, geben mit ihrem Schweigen aus der Ferne zu verstehen, eine religiöse Entwicklung der Jüdischen Gruppe rundweg abzulehnen.
Der jüdisch-feministische »Schabbeskreis«, den unter anderem Jessica Jacoby gegründet hat, in den ich gern aufgenommen würde, bleibt mir verschlossen. Wahrscheinlich hätte ich ohnehin nicht in die Gruppe gepasst, sie möglicherweise sogar gesprengt, da sie vor allem den Antisemitismus in der Frauenbewegung und das Lebensgefühl der traumatisierten »zweiten Generation« zur Sprache bringt – zwei Themen, die mir in diesen Jahren immer ferner werden.
1992 zeigt der Gropius-Bau die umfangreiche Ausstellung
Jüdische Lebenswelten
, die Andreas Nachama mit organisiert hat – und die ein erstes Anzeichen dafür ist, dass Judentum nicht mehr nur allein als eine Geschichte von Verfolgung und Vernichtung wahrgenommen wird, sondern auch als eine Geschichte kulturellen Reichtums über Jahrhunderte hinweg. Ich verbringe einige Stunden in der Ausstellung – betrachte die Exponate jedoch eher mit einem zeitgeschichtlich eingestellten Blick als mit dem Interesse, das Ausgestellte auf meine Gegenwart zu beziehen. Ähnlich ist es mit den alljährlichen Jüdischen Kulturtagen im November, die neuerdings das jüdische Leben einer bestimmten Stadt zum Thema haben – Los Angeles, Paris oder Jerusalem: Städte, die ein ungleich intakteres und reichhaltigeres jüdisches Leben aufzuweisen haben als Berlin.
Aufgrund meines Traumes beschließe ich, in der Berliner Jüdischen Gemeinde aktiv zu werden. Ich würde dabei aber von vornherein keine Rücksicht auf Tabus nehmen und
das
Thema einbringen, das sich offensichtlich seit Jahren wie ein roter Faden durch mein Leben zieht: religiöse Erneuerung.
Was dies inhaltlich für die Berliner Gemeinde heißt, kann ich noch nicht genau sagen. In jedem Fall aber bedeutet es, mit neuen Ansätzen den Kultusbetrieb – die Synagogen, die Rabbiner, die Gottesdienste – herauszufordern.
Kurz darauf lädt die Gemeinde zu einer ersten »Gemeindeversammlung« ein. Der Vorstand will Rechenschaft über seine Arbeit ablegen, die Mitglieder können kritische Fragen stellen. Die Einladung wird von den Mitgliedern als Anzeichen einer überfälligen Demokratisierung der Gemeinde verstanden und ist offensichtlich dem Druck der oppositionellen Liste in der »Repräsentantenversammlung«, dem Gemeindeparlament, zu verdanken.
Ich nehme die Gelegenheit wahr –
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