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Wie im Film

Wie im Film

Titel: Wie im Film Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Julian
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meinem traumatischen Erlebnis und der Frage, ob ich anfangs Probleme damit hatte, schwul zu sein. Ich war dreizehn, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, einen Kumpel küssen zu wollen. Es war eine seltsame Situation, und obwohl wir es nicht taten, war ich mir sicher, dass er es auch wollte. Nun ja ... aber wie gesagt, wurde nichts draus. Ungefähr ein Jahr später wurde über ihn geredet — über die Schwuchtel Rüdiger. Er war auf der Kirmes von ein paar Mitschülern dabei beobachtet worden, wie er in einer Ecke einen der jungen Männer küsste, die mit der Kirmes reisten und beim Autoscooter halfen. Der Altersunterschied war natürlich nicht ganz ohne und das Ganze war schon skandalös genug in unserem kleinen Ort, aber dass es sich um zwei Männer handelte, war natürlich der eigentliche Skandal. Es wurde eine regelrechte Hetzjagd auf ihn unternommen. Und ich, ähm ... ich ...“, Daniel hielt inne und biss sich auf die Lippe.
    Eric beobachtete ihn, dann fragte er sanft: „Du hast mitgemacht? Bei der Hetzjagd auf ihn, meine ich.“
    Daniel nickte kaum merklich, und seine Stimme klang belegt.
    „Ja, ich habe mitgemacht. Nicht aktiv, aber ich habe ihm auch nicht geholfen. Selbst meine Eltern redeten über ihn und ich hatte Angst. Die Welt war so verwirrend. Alle schienen sich aufzuregen, dass er einen Kerl geküsst hatte, und ich konnte an nichts anderes denken, als daran, dass ich es hatte sein wollen, den er küsst. Aber um den Preis, selbst dem Spott ausgeliefert zu sein? Oh Gott, ich hatte in der Zeit einen feuchten Traum nach dem anderen. Es ging nie weiter als bis zu einem Kuss, den ich mit ihm meist in einem Autoscooterwagen austauschte. Aber am nächsten Morgen waren meine Hose und mein Bett nass. Meine Mutter hat nie etwas gesagt, obwohl sie es bemerkt haben muss. Wenn ich Rüdiger tagsüber begegnete, dann machte ich einen Bogen um ihn. Er nahm es scheinbar gelassen zur Kenntnis. Ich meine ... wir waren früher Freunde. Wir hatten eine Menge zusammen unternommen und uns oft unterhalten. Aber über das Schwulsein hatten wir natürlich nie gesprochen. Für ihn war ich genauso ein Idiot wie die anderen Wichser, die ihn fertigmachten, davon war ich überzeugt. Eines Tages — es war ein Freitag, musste ich die Sportstunde früher verlassen, weil ich einen Termin beim Arzt hatte. Also ging ich, während die anderen Völkerball spielten. Kaum hatte ich die Halle verlassen, tauchte Rüdiger plötzlich auf und zog mich mit sich. Ich war total verdattert und zugleich bis in die Haarspitzen elektrisiert. Er war nicht zärtlich ... ganz und gar nicht. Er presste mich an die Wand, von der wir wussten, dass viele der Jungs oft dort hinpissten, bevor sie in den Schulbus stiegen. Es roch nach Urin und durch das geöffnete Fenster konnte man drinnen in der Halle die Turnschuhe der laufenden Schüler quietschen hören. Rüdiger küsste mich. Aber auch darin lag nichts Schönes. Es war eine Demonstration. Und seine Worte unterstrichen das nachdrücklich. ,Lass dich nie dabei erwischen, Daniel. Ich weiß, dass du drauf stehst. Aber lass dich besser nie dabei erwischen!‘
    Er ließ mich los und verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Mein Traum war in Erfüllung gegangen — und mein Albtraum auch. Das war mein erster Kuss. Vielleicht klingt es nicht sonderlich traumatisch, aber das war es. Ich habe seitdem nie wieder von ihm geträumt. Und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Seine Eltern hatten lange gebraucht, bis sie ihr Haus verkaufen konnten, aber plötzlich waren sie weg. Niemand wusste wohin, und niemand wollte es wissen. Sie waren weg, und die Welt war wieder in Ordnung. Kein Schwuler mehr im Ort ... glaubten sie. Aber ich wusste es besser, und Rüdiger hatte mir bewiesen, dass auch er es besser wusste.“
    Eric stieß die Luft in einem Seufzen aus. „Glaub mir, für mich klingt das ebenfalls ziemlich traumatisch.“
    Eine Zeit lang schwiegen beide, bis Daniel plötzlich aufgeräumt fortfuhr.
    „Mal sehen, was wolltest du noch wissen? Ah, ich weiß — Weihnachten. Also, ich feiere Weihnachten bei meinen Eltern. Den Heiligabend fahre ich hin, und meist am ersten Weihnachtsfeiertag wieder nach Hause. Länger bleibe ich nie dort. Ist für keinen von uns gut. Aber der Heiligabend ist meist nett. Das Essen ist lecker und es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass sich an diesem Tag so gut wie alle Familien gegenseitig anlügen, um den Frieden nicht zu gefährden. Ein gutes Gefühl, nicht mit den

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