Wie immer Chefsache
gedacht hatte, dass sich mit der Enttarnung seiner Expertin und der Namensänderung von Mina R. auf Mattes Reuter nicht viel für ihn ändern würde, hatte er sich getäuscht. Ab jetzt war er nicht mehr der Chefredakteur von ›doggies live‹, wenn er in der Öffentlichkeit unterwegs war, sondern Mattes Reuter, der Hundeexperte, der alle Fragen dieser Welt, die sich auch nur entfernt um Hunde drehten, auf Anhieb beantworten konnte. Und, wie die meisten Fragesteller dachten, auch immer, jederzeit und supergerne.
»Herr Reuter, schön, dass ich Sie jetzt gerade zufällig sehe, ich hab da mal ’ne kurze Frage«, unterbrach eine Frau im Park ein Gespräch mit Beatrice, die er nur morgens für einige Minuten dort kurz treffen konnte.
»Was ist denn so wichtig, dass es unbedingt jetzt sein muss?«, fragte er.
»Was halten Sie vom Kastrieren?«
Mattes wehrte ab: »Also für mich kommt das nicht infrage!«
Die Frau sah ihn verlegen an: »Ich mein doch beim Hund meiner Tochter.« Dann erzählte sie die Einzelheiten vom Welpenkauf bis zum inzwischen manchmal viel zu dominanten Verhalten des Hundes, und Mattes bekam sie nur mit Mühe gestoppt, während er wusste, dass Beatrice in einigen Minuten wieder gehen würde.
Selbst beim Joggen mit Alex wurde er oft aufgehalten und in Gespräche verwickelt, sodass Alex nach einigen Minuten Wartezeit meistens sagte: »Ich lauf mal eine kleine Runde alleine, vielleicht bist du bis dahin fertig«, und lossprintete.
Einerseits fand Mattes es toll, dass er erkannt und oft freundlich gegrüßt wurde. Andererseits führte es zu Situationen, die er manchmal als unangenehm empfand. Wusste die Dame, die hinter ihm an der Supermarktkasse wartete, wer er war oder warum beobachtete sie so aufmerksam, was er gerade aufs Laufband legte? Registrierte sie, dass er das preiswerte zweilagige Klopapier wählte und dass der Käse abgepackt war? Er hörte sie schon ihren Freundinnen beim Kaffeekränzchen erzählen: »Aufs Essen legt der ja nicht viel Wert, da muss man nur einen Blick auf den Käse werfen, und ob er das Zweilagige wirklich selber benutzt oder nur für seine Gäste hat?«
»Was hat er denn sonst noch eingekauft?«, würden die Freundinnen fragen und ihn anhand seine Einkäufe analysieren.
Auch an ein Erlebnis in Berlin, als er Gast einer Diskussionsrunde war und am Abend im Hotel mit einem Saunagang entspannen wollte, erinnerte er sich. Er hatte mit zwei ihm gänzlich unbekannten Herren in der Sauna gesessen, und während sie stumm und schwitzend auf ihren Handtüchern kauerten und seine Gedanken langsam ins meditative Nichts glitten, schreckte ihn eine leise Stimme in unmittelbarer Nähe auf: »Ich weiß, es ist jetzt gerade schlecht, aber ich hätt’ da mal ’ne Frage.«
»Sie haben recht, es ist ein ganz schlechter Moment«, hatte Mattes abwesend gemurmelt, aber die Stimme hatte nur ge lacht und völlig ungehemmt ihre Hundegeschichte erzählt: »Ganz kurz nur …« Und aus dem »ganz kurz« war ein ausführlicher Bericht über Nora geworden, die vor vier Jahren aus dem Tierheim in die Familie gekommen war und nun die Nummer eins im heimischen Hundesportverein war.
»Meinen Sie, wir sollten das ausweiten und auch auf bundesweite Wettbewerbe gehen?«
Es gab kaum etwas, das Mattes zu diesem Zeitpunkt weniger interessierte. Zuerst hoffte er, dass der andere Saunagänger mit einem energischen Pst! zur Ruhe auffordern würde, aber der mischte sich plötzlich ebenfalls ins Gespräch ein und erzählte vom Hund seiner Schwägerin »So ’nem Großen, na, Sie wissen schon, die immer so springen. Ganz groß sind die … Na, ich hab’s gleich, so ein … «
»… Pferd?«, hatte Mattes helfend angeboten, aber die angeregte Suche nach der Rasse damit nur angestachelt.
Manchmal machte er sich einen Spaß und gab mit völlig ernster Miene überflüssige Ratschläge.
»Ich hab ein Problem«, sagte eine junge Frau und schilderte, dass ihr Hund sehr brav in der Straßenbahn mitfahren würde, aber an der Haltestelle, an der sie wohnte, immer zu winseln begann und nicht aussteigen wollte.
Mattes zog die Augenbrauen hoch und fragte: »Macht der das auch an anderen Haltestellen?«
»Nein, wirklich nur da, wo wir wohnen.«
»Dann sollten Sie einfach eine Haltestelle früher aussteigen!«
Die junge Dame starrte ihn verblüfft an und rief dann freudig: »Da bin ich noch nie drauf gekommen! Sehen Sie, man muss wirklich nur den Fachmann fragen, und schon sind alle Probleme aus der Welt! Was Sie
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