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Wie immer Chefsache

Wie immer Chefsache

Titel: Wie immer Chefsache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Ruetter
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Chef sein zu können. Bisher war das allerdings ganz eindeutig noch sie. Aber das wird sich ändern, dachte Mattes zuversichtlich und strich mit dem Finger über das Leder der hohen Rückenlehne. Der imposante Stuhl war der Anfang. Wie gut das vernäht war, und so schön dick gepolstert.
    Frau Althoff riss ihn aus seinen Gedanken. Mit wenigen Handgriffen hatte sie die Papiere auf dem Schreibtisch zusammengelegt und an sich genommen. Auf einmal sah das Büro leer und frisch aus, als warte es auf einen Neuanfang. Sie sah Mattes an, der sofort eine nervöse Unruhe im Unterbauch spürte. Was erwartet sie? Soll ich sie als ihr neuer Chef begrüßen? Nein, das wäre ja völliger Quatsch. Einen Kaffee bestellen? Was machte man eigentlich so als Chefredakteur im Bezug auf die Mitarbeiter? Wie ging man mit Sekretärinnen um, vor allem, wenn sie im wahrsten Sinne des Wortes Chef-Sekretärinnen waren?
    »Hi!«, säuselte es von der offenen Tür, und die junge Frau von gestern stand dort und guckte neugierig ins Büro. Mattes sah, dass sie nicht nur sehr dunkel umrandete Augen, sondern auch ein kleines Nasenpiercing hatte, und dass eine ganz erstaunliche Anzahl von Ringen und blinkenden Steinchen in beiden Ohrmuscheln steckten. Er fühlte Respekt in sich aufsteigen. Für ihn waren Spritzen schon eine echte Bedrohung, die er nur mit ganzer Manneskraft und kaum unterdrückbaren Schweißausbrüchen hinnehmen konnte. Dass es junge Mädchen gab, die sich ähnlichen Schmerzen freiwillig und mehrfach aussetzten, nur um sich irgendwelche Extremitäten perforieren zu lassen, war für ihn nicht nachvollziehbar.
    »Der hier oben ist neu«, informierte ihn die junge Frau, die sein Interesse bemerkte, den Kopf drehte, damit er ihr Ohr sehen konnte, und mit dem Finger auf einen Stecker zeigte, der hoch oben in der Ohrmuschel klemmte.
    »Hab ich vorgestern gemacht. Mit einer Nadel«, ergänzte sie, als sie seinen fragenden Blick sah.
    »Mit einer Nadel?«, fragte er entgeistert und versuchte den Gedanken daran sofort aus dem Kopf zu bekommen, was zur Folge hatte, dass er genau vor Augen hatte, wie eine Nadel in den Knorpel der Ohrmuschel …
    Frau Althoff unterbrach das phantasievolle Schreckensbild: »Das ist Tina. Sie ist seit vier Monaten bei uns und macht ein Langzeit-Praktikum.«
    Mattes stand auf, versuchte das Bild der bohrenden Nadel aus dem Kopf zu bekommen und überlegte blitzartig, wie er die Büro-Praktikantin am besten souverän und eindrucksvoll als neuer Chef begrüßen sollte.
    Sie kam ihm zuvor, schüttelte seine Hand und piepste: »Tach. Sie sind der von gestern, ne? Cool.«
    »Als Praktikantin in einer Redaktion ist es sicher sehr interessant”, sagte Mattes, um überhaupt etwas zu sagen.
    »Ich kann Kaffee und kopieren. Das ist, weil ich so Ausschlag hatte bei dem Färben und so«, erklärte Tina. »Das waren voll die roten Finger. So richtig mit Plack dran.«
    »Mit was?«, fragte Mattes.
    »Sie befand sich in der Ausbildung zur Friseurin, bekam aber Allergien von den Färbemitteln und schult jetzt um«, übersetzte Frau Althoff.
    »Aha«, sagte Mattes. »Und auf was schult sie hier um? Auf Praktikantin?«
    Frau Althoff warf ihm einen warnenden Blick zu, der ihn schnell erkennen ließ, dass Frau Mahlzahn auch jetzt nicht zu Späßen aufgelegt war.
    »Vorläufig ja.«
    Oh, schon wieder ein heikles Thema, zu dem er kein Hintergrundwissen hatte und offensichtlich auch keins bekom men sollte. Er lächelte Tina wie ein gütiger Chef zu, zumindest hoffte er, dass genau das in seinem Gesichtsausdruck rüberkam. Bisher hatte er in seinem Leben nicht häufig gütig lächeln müssen. Eigentlich war es das erste Mal.
    »Dann guten Tag, Tina. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem Praktikum.«
    »Neeeee«, lachte Tina los, »ich bin du.«
    Sie kicherte.
    Mattes verlor den Ansatz des gütigen Lächelns und tauschte ihn mit dem Ausdruck des totalen Unverständnisses.
    »Sie sind ich?«
    Tina kiekste vor Vergnügen.
    »Nein, Sie sind Sie, aber ich bin du.«
    Wieder rettete ihn Frau Althoff mit einer Erklärung, und er meinte dabei ein vergnügtes Blitzen in ihren Augen zu erkennen. Lachte sie etwa über ihn?
    »Tina meint, dass Sie sie duzen sollen.«
    »Ich bin du«, wiederholte Tina. »Das sag ich doch die ganze Zeit.«
    Oh, Mann, hoffentlich ging das heute nicht so weiter. Aber es konnten hier ja nicht nur piepsende Praktikantinnen mit selbst durchbohrten Ohren herumlaufen, die ihn mit ihren unausgegorenen Sätzen in den Wahnsinn

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