Wie Kinder heute lernen
Art Konfliktkompetenz - sei es im Umgang mit einem Lehrer, mit dem sie nicht zurechtkommen, oder mit dem Stoff eines Fachs, das ihnen nicht so sehr liegt. Sie zeigen generell weniger Aggressionen, die oftmals aus Angst, nicht mehr weiterzuwissen, entstehen. Diese positive emotionale Basis ist das stabilste Grundgerüst für das Leben und das Lernen von Kindern.
Neben dem Bedürfnis nach Bindung erleben Kinder auch ihre eigene Neugier. Das von dem Bindungsforscher Brisch so genannte Erkundigungsbedürfnis wechselt mit dem Bindungsbedürfnis. Diesen Freiheitsdrang ihres Kindes dürfen Eltern keineswegs fehl interpretieren. Das Kind will nicht weg, sondern es will seine Umgebung erforschen, weil es sich sicher fühlt, weil es die Basis aus Liebe und Vertrauen spürt. Einem Kind, das Angst hat, seine Bindungsperson zu verlieren und sich deshalb umso mehr an sie klammert, fehlt auf Dauer die Ruhe, um gut lernen zu können. Im schlimmsten Fall kann die Verlustangst bei Kindern so groß werden, dass sie sogar zu Hause unterrichtet werden müssen. Eine zu starke Bindung hingegen - gern als overprotection beschrieben -, ist aber ebenso problematisch. In beiden Fällen lernen Kinder nicht, mit Stress umzugehen. Insofern sollten Eltern sich diesen Spagat zwischen Bindungsund Freiheitsbedürfnis bewusst machen und ihren Kindern im jeweils richtigen Maß Schutz, aber auch Freiheit gewähren.
Das richtige Bildungsklima
Gibt es eine falsche Bildungsatmosphäre? Nein. Es gibt in manchen Fällen nur gar keine - und das ist ungünstig. Wissenschaftstheoretisch bedeutet Bildung das Streben nach optimaler Verwirklichung eines Menschenbildes. Nicht das Ansammeln von Spezialwissen ist gemeint, sondern der breite Wissensfundus,
der einen kritischen und reflektierten Umgang mit den Kulturtraditionen in Kunst, Wissenschaft und Literatur erlaubt. Zu wissen, wann der Dreißigjährige Krieg endete, bedeutet eben noch nicht, das geschichtsträchtige Ereignis auch in seiner historischen Dimension begriffen zu haben.
Bildung ist immer die gesamte Bandbreite der Persönlichkeitsbildung. Für die Ansammlung von Faktenwissen könnten Eltern zu Recht die Schule als führende Institution in Anspruch nehmen. Das gilt aber nicht für die ganzheitliche Bildung. Weltwissen, Kultur, Kommunikation, Ehre, Fleiß, Mitgefühl, Gerechtigkeit - um nur einige Bestandteile zu nennen - werden und sollten zu Hause erfahrbar sein.
Das Bildungsideal, dem die Menschen vertrauen, wandelt sich je nach Epoche und den geistigen Strömungen: Rousseau war der Ideengeber der Reformpädagogik und erhob den sich frei entfaltenden Menschen zum Ideal, während Wilhelm von Humboldt allen, egal ob Gelehrter oder Handwerker, einen fundamentalen Fachunterricht angedeihen lassen wollte. Er wünschte sich die Bildung frei von jeglichen Zwängen. Pestalozzi dagegen legte Wert auf die geistige, sittliche und religiöse Bildung sowie handwerkliche Fertigkeiten. Die Reformpädagogik wiederum erkor die individuelle Entfaltung zum Hauptziel - durch eine einfache Lebensform, Naturverbundenheit, Spiel und Kunst statt purer Wissensvermehrung. Maria Montessori förderte selbstständiges Entdecken als Lernen.
Der weit gereiste Gelehrte Johann Amos Comenius verfasste 1658 das Buch der Bücher für Kinder, eine Art Weltordnung mit wissenswerten Fakten, die uns heute vielleicht banal erscheinen, im 17. Jahrhundert jedoch einer Revolution gleichkamen. So sollte ein Kind z. B. zwischen Stunden, Tagen, Wochen und Jahreszeiten unterscheiden können, eine Vorstellung von der Rolle des Bürgermeisters haben, einige Verse auswendig aufsagen können und die Zehn Gebote kennen. Diese »Mutterschul« war als Bildungsanleitung für Kinder und Mütter aller Schichten gedacht.
Fast 350 Jahre später setzte Donata Elschenbroich, Pädagogin, Kindheitsforscherin am Deutschen Jugendinstitut in Frankfurt und Bestsellerautorin, diese alte Idee von Comenius neu um: Ihr Bildungskanon Weltwissen der Siebenjährigen entstand nach 150 ausführlichen Gesprächen mit Menschen aller Altersstufen, unterschiedlicher Herkunft und Bildung, mit verschiedenen Berufen und Ansichten. Dem Vorwurf, eine Art Checkliste mit den Fertigkeiten erstellt zu haben, die ein Kind heute beherrschen sollte, entgegnete sie, dass es sich eher um »eine Checkliste der Pflichten der Erwachsenen« handele. Elschenbroich zufolge sollte ein siebenjähriges Kind z. B. einen Tag im Wald verbracht, einen Brief gelesen oder geschrieben, einen
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