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Wie Krähen im Nebel

Wie Krähen im Nebel

Titel: Wie Krähen im Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Zeitung, die bereits im Briefkasten steckte, und machte sich an den Aufstieg in den vierten Stock. Oben schlich sie auf Zehenspitzen in die Wohnung, rechnete aus, dass sie noch genau 50   Minuten hatte für ein Bad, und drehte befriedigt den Wasserhahn auf. Dann ging sie in die Küche, warf einen Teebeutel in ihre große Tasse und betrachtete misstrauisch das Blinken ihres Anrufbeantworters, beschloss noch unterwegs zu sein und deshalb unerreichbar.
    Draußen war es noch immer stockfinster. Laura schaute sich in der Küche um, streute einen Teelöffel braunen Zuckerin ihre Tasse, nahm die Milch aus dem Kühlschrank. Dann hielt sie plötzlich inne. So früh am Morgen, wenn alle noch schliefen, fühlte sie sich manchmal wie eine Fremde in der eigenen Wohnung. Wie jemand, der sich eingeschlichen hat. Alle Handgriffe waren vertraut, und doch schien alles anders. Das Ticken der Uhr war zu laut in der Stille. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn sie ganz allein hier leben würde, ohne die Gewissheit, dass Sofia und Luca in einer Stunde aus ihren Betten kriechen würden, gähnend, grummelnd und die Räume mit Leben füllend.
    Laura schüttelte den Kopf, als könnte sie auch ihre Gedanken damit vertreiben, und eilte ins Badezimmer. Das Wasser war knapp vor dem Überlaufen. Sie drehte den Zufluss ab, warf eine Hand voll Meersalz in die Wanne, überlegte kurz und gab noch einen Schuss Rosmarinöl dazu. Dann schlüpfte sie schnell aus den Kleidern, eilte nochmal in die Küche, um ihren Tee zu holen, und glitt endlich mit einem wohligen Seufzer in das warme, duftende Wasser. Vor ihr lagen dreißig köstliche Minuten, in denen niemand sie stören würde.
    Mit geschlossenen Augen lag sie da, machte sich so schwerelos wie möglich und stellte sich vor, dass sie im Meer trieb. Auf dem Rücken, mit ausgebreiteten Armen und Beinen schaukelte sie auf imaginären Wellen, bis ihr schwindlig wurde. Aber das kam nur davon, dass sie den Kopf zu weit nach hinten gestreckt hatte.
    Vielleicht hat Luca Recht, dachte sie, inmitten der Meereswellen. Warum muss ich eigentlich herausfinden, wer diese fremde Frau umgebracht hat? Sie geht mich überhaupt nichts an, diese Frau. Nein, es stimmte nicht. Der erstaunte, erschrockene Ausdruck im Gesicht der Frau ging sie etwas an. Und auch der weiße, leblose Arm des jungen Mannes auf der Intensivstation und Brunners Anstrengung, sich zuerinnern. Warum hatte sie nur manchmal solche Anfälle von Gefühlstaubheit?
    Sie lag ganz still, atmete ruhig, versuchte nicht zu denken. Aber es ging nicht. Das Programm in ihrem Kopf lief einfach weiter. Weil ich funktioniere, sagte das Programm. Es war jetzt auf Antworten geschaltet. Du bist taub, weil du dauernd funktionieren musst.
    «Noch was?!», rief Laura und setzte sich auf. Langsam ließ sie den Tee durch ihre Kehle rinnen. «Ich funktioniere, weil ich funktionieren will! Alles klar?»
    Sie verschluckte sich und musste husten. Noch zehn Minuten. Laura hielt sich die Nase zu und steckte den Kopf unter Wasser.
     
    Später, als sie sich wieder anzog, dachte sie an den Rangierarbeiter Brunner und die merkwürdige Verwandlung, die er vollzogen hatte, als sie ihm sagte, dass er vermutlich ein Menschenleben gerettet hatte. Ein Strahlen war über sein Gesicht geflackert, hatte für einen Augenblick den Schmerz und die Benommenheit verdrängt.
    Vielleicht hat er sich das gewünscht, dachte Laura. Vielleicht träumte er schon immer davon, ein Held zu sein. Viele Menschen träumen von so etwas, weil in ihrem Leben nichts Besonderes passiert. Sie nahm sich vor, Brunner noch mehr von seiner Rettungstat zu erzählen, sobald sie selbst Genaueres darüber wusste.
    Kaum hatte sie das Badezimmer verlassen, erschien Sofia, mit diesem anrührenden Kindergesicht, ihrem Morgengesicht, das Laura stets an eine Blütenknospe erinnerte.
    «Morgen, Mama!», murmelte Sofia und hielt ihrer Mutter eine Wange hin.
    «Guten Morgen, Sofissima!» Laura gab ihrer Tochter einenKuss und schnupperte zärtlich an ihrem Haar. «Gut geschlafen?»
    «Geht so. Ist das Bad frei?»
    «Ja, mach schnell. Luca ist noch nicht aufgetaucht!»
    Sofia strich ihre langen dunkelbraunen Haare zurück, warf Laura einen schlafverhangenen Blick zu und verschwand im Badezimmer.
    Ich gebe Luca noch zehn Minuten, dachte Laura und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach halb sieben. Zehn Minuten länger schlafen ist eine ganze Menge. Laura stellte Müsli und Joghurt auf den Tisch, wusch ein paar Äpfel, eine

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