Wie Liebe Heilt
angemessen ist, wenn Ihre Wut, Angst, Scham oder anderen negative Gefühle in keinem Verhältnis mehr stehen zu der aktuellen Situation – wie es bei Kindern der Fall ist –, dann wissen Sie, dass eine versteckte Wunde aufgerissen wurde. Und diese Erkenntnis gibt Ihnen die Möglichkeit, die Wunde zu heilen.
Über verborgene Wunden
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Steuer eines Autos. Ihr Freund auf dem Beifahrersitz klopft Ihnen auf die Schulter, weil er Ihnen etwas Interessantes zeigen will. Sie bitten ihn, Sie nicht beim Fahren zu stören, Sie würden sich das später anschauen.
Was wäre aber, wenn Sie an der Schulter eine klaffende, blutende Wunde hätten, und Ihr Freund klopft Ihnen wie beschrieben auf die Schulter? Wie würden Sie reagieren? Vielleicht schreien Sie auf! Sie sind möglicherweise sehr aufgebracht. Wie konnte Ihr Freund nur so rücksichtslos sein? Wie konnte Ihr Freund es wagen, Ihre Bedürfnisse so zu ignorieren? Sie reagieren vielleicht übertrieben heftig, weil Sie diese Wunde haben. Das Schulterklopfen ist jetzt nicht mehr bloß eine unnötige Ablenkung. Nun tut es weh.
Jeder hat Wunden. Jeder hat schmerzliche Erfahrungen gemacht, die im Gedächtnis lebendig sind. Das ganze Leben lang lassen belastende Vorkommnisse diese Erinnerungen wieder lebendig werden, stochern in den alten Wunden, lösen bei uns automatisch Angst, Wut, Scham oder andere negative Gefühle aus. Unser Bewusstsein mag diese Wunden vergessen haben. Oder wir haben uns weisgemacht, dass sie keine Rolle mehr spielen. Was jedoch bleibt, ist die Schlussfolgerung, die wir aus dieser Erfahrung gezogen haben. Nehmen wir beispielsweise an, ein Mitschüler hat Sie in der dritten Klasse immer »dumm« genannt. Auch wenn das vor sehr langer Zeit war und Sie inzwischen Ihr Studium an einer Elite-Universität abgeschlossen haben, tragen Sie im Unterbewusstsein immer noch die Überzeugung mit sich herum, Sie seien nicht intelligent genug. Und jedes Mal, wenn jemand Ihre Befähigung anzweifelt, reagieren Sie sofort mit Abwehr oder Wut. Und dieses Gefühl wird immer von einer automatischen körperlichen Reaktion begleitet. Wenn Sie sich schämen, beginnen Sie zu essen. Wenn Sie wütend sind, greifen Sie wahllos an.
Machen Sie sich deshalb keine Vorwürfe, wenn Sie gereizt, frustriert, müde, schlecht gelaunt sind, Schmerzen haben oder was auch immer. Beobachten Sie diese Gefühle, werden Sie sich Ihrer Wunden bewusst und respektieren Sie sie. Sie wissen, dass es immer einen Grund gibt, wenn Ihr Körper in die Angstreaktion verfällt.
Woher wissen Sie, dass Sie sich in der Angstreaktion befinden?
Wenn Sie sich schlecht fühlen, dann befinden Sie sich in der Angstreaktion. So einfach ist das.
Doch in einer Welt, in der Frustration und Druck die Norm sind, kann bereits die Unterscheidung, wann man sich gut oder schlecht fühlt, eine gewisse Übung erfordern. Dabei hilft es, wenn man es schafft, sein Leben aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Werden Sie ein stummer Zeuge dessen, was in Ihnen und um Sie herum geschieht. Wie das geht? Eine einfache Möglichkeit sind Übungen, die die Bewusstheit verbessern.
Denn eine gut entwickelte Bewusstheit verbessert Ihre Fähigkeit, zuzuhören und dem alltäglichen Leben Aufmerksamkeit zu schenken. Bewusstheit bedeutet, den gegenwärtigen Moment ganz zu erfassen, als ob Sie Ihre Umgebung durch ein Weitwinkelobjektiv sehen und so den gesamten Schauplatz überblicken.
Beginnen Sie damit, Ihre Bewusstheit an einfachen, alltäglichen Verrichtungen zu üben.
Trainieren Sie die Bewusstheit …
… wenn Sie unter der Dusche stehen: Nehmen Sie bewusst wahr, wie die Seife oder das Shampoo duftet, wie sich der Schaum anfühlt, wie sich das fließende Wasser anhört, wie sich die Wassertropfen auf Ihrer Haut anfühlen.
… beim Spazierengehen: Achten Sie auf die Farbe des Himmels oder der Blumen, das Rascheln der Blätter im Wind, das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos.
… beim Essen: Genießen Sie die Farben der Speisen auf Ihrem Teller, Konsistenz und Geschmack des Essens.
… beim Zuhören: Achten Sie auf den Klang der Stimme Ihres Gesprächspartners. Nehmen Sie nicht nur die Wörter wahr, die gesprochen werden, sondern auch die Gefühle, die durch diese Wörter ausgedrückt werden.
… beim Sprechen: Achten Sie auf den Klang Ihrer eigenen Stimme. Welche Wörter benutzen Sie? Welche Botschaft steht hinter Ihren Wörtern? Was fühlen Sie, während Sie sprechen?
… beim Atmen:
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