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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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dafür zeigt, dass er schrumpft. Die westlichen Bewegungen haben überlebt, weil, wie Marx prognostizierte, die große Mehrheit der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung von ihren Löhnen und Einkommen abhängig ist und deshalb sehr wohl zwischen den Interessen der Lohnzahler und denen der Lohnempfänger unterscheiden kann. Wenn es zwischen beiden zu Konflikten kommt, implizieren sie somit kollektives Handeln, zumindest auf Seiten der Lohnempfänger. Der Klassenkampf geht deshalb weiter, ganz gleich ob er sich nun auf Ideologien stützt oder nicht.
    Zudem bestehen die Kluft zwischen Reich und Arm sowie die Spaltungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen mit divergierenden Interessen auch weiterhin, unabhängig davon, ob man solche Gruppen als »Klassen« bezeichnet oder nicht. Mögen sich die gesellschaftlichen Hierarchien auch deutlich von denen vor 100 oder 200 Jahren unterscheiden, die politische Auseinandersetzung geht weiter, wenn auch nur noch teilweise in Form von Klassenpolitik.
    Und schließlich haben die Arbeiterbewegungen weiterhin Bestand, weil der Nationalstaat keineswegs vom Aussterben bedroht ist. Der Staat und andere Behörden bleiben die einzigen Institutionen, die in der Lage sind, das Sozialprodukt unter der Bevölkerung zu verteilen, und zwar unter menschlichen Bedingungen, und diejenigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, die vom Markt nicht zu erfüllen sind. Die Politik bleibt somit eine notwendige Dimension des Kampfes um gesellschaftliche Verbesserungen. Die große Wirtschaftskrise, die 2008 als eine Art rechtes Pendant zum Fall der Berliner Mauer begann, brachte unmittelbar die Erkenntnis mit sich, dass der Staat für eine Ökonomie, die in Turbulenzen steckte, von essentieller Bedeutung ist, so wie er für den Triumph des Neo-Liberalismus essentiell gewesen war, als die Regierungen durch systematische Privatisierung und Deregulierung die Grundlagen dafür gelegt hatten.
    Doch für die Sozialdemokratie hatte die Phase von 1973 bis 2008 zur Folge, dass sie sich von Bernstein verabschiedete. In Großbritannien glaubten die Parteiführer, sie hätten keine andere Wahl, als auf solche Vorzüge wie das Wirtschaftswachstum zu setzen, das eine globale freie Marktwirtschaft automatisch generierte, und müssten nur noch von oben ein soziales Sicherungsnetz bereitstellen. »New Labour« wurde mit der marktorientierten und marktabhängigen Gesellschaft identifiziert, bis diese 2008 zusammenbrach, und büßte dabei seine organische Verbindung zur Arbeiterbewegung beinahe gänzlich ein. Die Labour Party ist ein Extremfall, aber auch in anderen ihrer Hochburgen (darunter auch in derjenigen der einzigen verbliebenen kommunistischen Massenpartei, nämlich in Italien) verschlechterte sich die Situation der reformistischen Sozialdemokratie deutlich; einzige Ausnahmen sind vielleicht das wiedervereinte Deutschland und Spanien. Bei den Kommunisten, die in die gemäßigten »Eurokommunisten« und traditionalistische Hardliner gespalten waren, ging das sogar so weit, dass der Kommunismus als ernstzunehmende politische Kraft im Westen quasi völlig von der Bildfläche verschwunden ist.
    Doch auch diese Ära ist schon wieder zu Ende, seit die Welt 2008 plötzlich in die schwerste Krise des Kapitalismus seit dem Katastrophenzeitalter geriet. Als sie begann, war die Situation der Arbeiterbewegung uneinheitlich. Ihre Parteien waren in einer Reihe europäischer Länder noch immer an der Regierung, allein oder als Partner in einer »großen Koalition« (Spanien, Portugal, Großbritannien, Norwegen, Deutschland, Österreich und Schweiz). Der plötzliche finanzielle Kollaps rehabilitierte den Staat als Wirtschaftsakteur, als sich sowohl Unternehmer als auch Arbeiter mit der Bitte an ihre Regierungen wandten, zu retten, was von den nationalen Industrien noch übrig war. Zudem gab es bereits deutliche Anzeichen für Kampfbereitschaft am Arbeitsplatz und öffentliche Unzufriedenheit, auch wenn unter den Arbeitern die alte Tradition, »auf die Straße zu gehen« ( descendre dans la rue , wie die Franzosen sagen), an Kraft verloren hatte – in einigen europäischen Ländern und anderswo, etwa in Argentinien, war diese Tradition jedoch noch immer recht lebendig und politisch bedeutsam. Es gab weiterhin wichtige Gewerkschaftsbewegungen, und an ihrer Spitze standen noch immer weitgehend Männer und Frauen, die der sozialistischen Tradition entstammten, ob nun in ihrer sozialdemokratischen oder kommunistischen Form.
    Auf dem

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