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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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Papier schien zu einem solchen Zeitpunkt das Wiederaufleben von Arbeiterbewegungen, die mit der ideologischen Linken verbunden waren, möglich zu sein. In der Praxis freilich waren die kurzfristigen Aussichten eines solchen Revivals wenig ermutigend, selbst für diejenigen, die sich nicht daran erinnerten, dass unmittelbare politische Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 eine dramatische Abkehr von den Arbeiterbewegungen und der Linken fast überall in Europa gewesen war. Die Sozialisten, seit jeher der »Brain Trust« der Arbeiterbewegung, wissen auch nicht besser als irgendjemand anderer, wie man die gegenwärtige Krise überwindet. Anders als in den 1930er Jahren können sie nicht auf kommunistische oder sozialdemokratische Regierungen verweisen, die gegen die Krise immun sind, und realistische Vorschläge für einen sozialistischen Wandel haben sie auch nicht zu bieten. In den alten kapitalistischen Ländern des Westens hat die De-Industrialisierung ihre wichtigste Basis, die industrielle Arbeiterklasse, bereits schrumpfen lassen, und das wird auch so weitergehen. In den aufstrebenden Ländern, wo das nicht der Fall war, konnten die Arbeiterbewegungen weiter wachsen, aber es gab keine wirkliche Grundlage für ein Bündnis mit den traditionellen Ideologien gesellschaftlicher Befreiung, weil diese entweder mit bestehenden oder früheren kommunistischen Regimen verbunden waren oder die »roten« Bewegungen früherer Zeiten inzwischen verkümmert waren. (Den eher ungewöhnlichen Fall Lateinamerika wollen wir hier einmal außen vor lassen.)
    Zwar entstand im Zuge des Zerfalls und Niedergangs der alten linken Ideologien ein gewisses radikales oder linkes Denken, aber dessen Basis war eher die Mittelschicht. Seine zentralen Themen – etwa der Umweltschutz oder der leidenschaftliche Kampf gegen die Kriege dieses Zeitraums – hatten nicht unmittelbar etwas mit den Aktivitäten der Arbeiterbewegungen zu tun und haben deren Mitglieder möglicherweise sogar gegen sich aufgebracht. Dort, wo die Arbeiterbewegungen auf gesellschaftliche Veränderung aus waren, standen sie eher für Protest als für das angestrebte Ziel. Es war leicht zu erkennen, wogegen sie waren – sie waren »antikapitalistisch«, allerdings ohne klare Vorstellung von Kapitalismus –, aber man konnte unmöglich ausmachen, was sie stattdessen vorschlugen. Das mag erklären, warum so etwas Ähnliches wie der Bakunin’sche Anarchismus wieder auflebte, der Zweig der sozialistischen Theorien des 19. Jahrhunderts, der am wenigsten sagen konnte, was geschehen sollte, wenn die alte Gesellschaft überwunden war, und sich deshalb am leichtesten für eine Situation nutzen ließ, die von heftiger gesellschaftlicher Unzufriedenheit ohne wirkliche Perspektive geprägt ist. Zwar hat er durch den medialen Wert von Unruhen, Straßenschlachten mit der Polizei und vielleicht auch einigen terroristischen Aktivitäten für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, aber für die Zukunft der Arbeiterbewegungen heute ist er ohne jede Bedeutung. Wir haben so etwas wie das Pendant zur »Propaganda der Tat« im 19. Jahrhundert, aber nicht mehr den entsprechenden Anarchosyndikalismus.
    Unklar ist, inwieweit die Lücke, die das Verblassen der alten Ideologien der sozialistischen Linken hinterlassen hat, von den »erfundenen« Gemeinschaften ethnischer, religiöser, geschlechtsspezifischer, lebensstilorientierter oder anderer kollektiver Identitäten gefüllt werden kann. Politisch gesehen hat der ethnische Nationalismus die beste Chance, weil er an die fremdenfeindlichen und protektionistischen politischen Forderungen der Arbeiterklassen-»Basis« appelliert, die in einer Zeit der Globalisierung und gleichzeitiger Massenarbeitslosigkeit deutlicher als je zuvor zu vernehmen sind: »unsere« Industrie für die eigene Nation, nicht für Ausländer; Jobs zuerst für einheimische Arbeitskräfte; Schluss mit der Ausbeutung durch Reiche aus dem Ausland und der Konkurrenz armer Zuwanderer und so weiter. Theoretisch setzen universelle Religionen wie der Katholizismus und der Islam der Xenophobie von selbst Grenzen, aber sowohl ethnische Zugehörigkeit als auch Religion finden Anklang als potentielle Barrieren gegen die ungehinderte kapitalistische Globalisierung, die alte Lebensweisen und menschliche Beziehungen zerstört, ohne eine Alternative zu bieten. Die Gefahr, dass die Politik eine scharfe Wendung hin zu nationalistischen oder konfessionellen rechtsradikalen Demagogen nimmt,

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