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Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition)

Titel: Wie man die Welt verändert: Über Marx und den Marxismus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Hobsbawm
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Namen des Proletariats an die Macht gekommen, und ihre Fünfjahrespläne ließen eine riesige industrielle Arbeiterklasse entstehen, doch die Arbeiterbewegung, wie wir sie kennen, schafften sie ab. Bis zu ihrem Ende erlaubte die Sowjetunion keine Arbeiterorganisation, die nicht der Kontrolle von Staat und Partei unterstand, und diesem Modell folgten auch die kommunistischen Nachfolgestaaten nach 1945, solange das in ihrer Macht stand. Man kann durchaus die Geschichte der Arbeiterklasse in der kommunistischen Welt und sogar eine Geschichte der Arbeitskonflikte schreiben, nicht aber eine Geschichte der Arbeiterbewegungen; einzige Ausnahme ist die Gewerkschaft Solidarność im Polen der 1980er Jahre.
    Anderswo auf der Welt nahmen sozialistische oder andere Arbeiterbewegungen (mehr oder weniger die in Australasien und ein paar andere unbedeutende Ausnahmen) erst mit der russischen Revolution ihren Anfang. Die Zweite Internationale existierte in diesen Gegenden quasi nicht, und es gab ganz einfach keine Basis für eine sozialdemokratische oder gar Bernstein’sche Politik. Andererseits stoßen wir in einigen (vorwiegend amerikanischen) Ländern auf ein Phänomen, das in der alten Welt aus historischen Gründen kaum existierte, nämlich die Bereitschaft demagogischer Staatsoberhäupter, die Arbeiterbewegungen im Zuge ihres Kampfes gegen die ältere Elite der Großgrundbesitzer zu begünstigen. Das war in Argentinien und Brasilien der Fall. In Mexiko spielte die gleiche Rolle die PRI, die institutionalisierte Staatspartei, die nach der mexikanischen Revolution entstanden war. Bis zum Beginn wirklicher Industrialisierung in und nach den 1970er Jahren war in diesen Gegenden denn auch keine Arbeiterklasse zu finden, die sich organisieren ließ, sieht man einmal von den Bereichen Bergbau, Energie, Transportwesen und Schifffahrt sowie Textil ab. Seither aber gibt es zwei Entwicklungen, vergleichbar dem, was vor 100 Jahren in Europa geschah. Da ist zum einen in den 1980er Jahren die Entstehung einer gewerkschaftlichen Massenbewegung in Korea und der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) in Brasilien. Der Einfluss des Leninismus (orthodox oder dissident) spielte in solchen Bewegungen durchaus eine Rolle, war aber nur in einigen wenigen Ländern entscheidend. Doch ganz gleich, welche Ideologie oder Nicht-Ideologie hinter diesen Bewegungen stand: Praktisch alle entstanden in Ländern, wo Militärputsch, Revolution, Straßenkampf und Schusswaffen vertrauter waren als friedliche demokratische Politik. In China und Vietnam konnte, ähnlich wie in der UdSSR, die massenhafte Industrialisierung nicht zu unabhängigen Organisationen der Arbeiterschaft führen.
    Doch als die 1970er Jahre vorbei waren, änderte sich alles: Sowohl Lenins also auch Bernsteins Hoffnungen gingen endgültig verloren. Wie jeder weiß, brach das Sowjetsystem zusammen, und die nicht-staatlichen kommunistischen Parteien verkümmerten. Weniger bekannt ist, dass auch die bernsteinianische Sozialdemokratie hinweggefegt wurde. Das Gebäude des Reformismus ruhte auf einem dreifachen Fundament. Da waren zum einen Größe und Anwachsen der Arbeiterklasse, das Bewusstsein, das eine heterogene Masse von Werktätigen und von mehr oder weniger Armen zu einer einzigen Klasse zusammenschweißte, sowie die Bereitschaft der bürgerlich-demokratischen Regierungen schon vor 1914, solch wichtigen Wählergruppen Zugeständnisse zu machen, sofern sie sich nicht zu radikal gebärdeten. Seit den 1970er Jahren jedoch schrumpfte die Klasse der Handarbeiter in den Kernländern des Kapitalismus (der »Ersten Welt«) sowohl relativ als auch in absoluten Zahlen und verlor einen Gutteil des einheitlichen und einenden Klassenbewusstseins. Das ging sogar so weit, dass einige Gruppen innerhalb dieser Klasse, die in der Vergangenheit bedingungslos in der Bewegung verankert gewesen waren, zu den wirtschaftsliberalen Parteien überwechselten, wie das in Großbritannien unter Thatcher und in den USA unter Reagan geschah. In den 1980er Jahren kamen überdies rechtsradikale nationalistische Parteien auf, die für Wähler aus der Arbeiterklasse durchaus attraktiv waren, insbesondere in Frankreich (angeführt von Jean-Marie Le Pen) und in Österreich (angeführt von Jörg Haider). Zudem untergrub der enorme Wohlstandszuwachs in den reichen Konsumgesellschaften, von dem auch die Arbeiterklasse profitierte, die Grundüberzeugung, eine wirkliche Verbesserung für den einzelnen Angehörigen der

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