Wie man im digitalen Zeitalter richtig aufblueht
Experten durch einen Massenzugang, so argumentiert er, könne sich eine zerstörerische Seite der menschlichen Natur des Internets bemächtigen: Anderslautende oder außergewöhnliche Stimmen würden erstickt und mit leicht verdaulichen Argumenten und einer Anbiederung an die Populärkultur einer passiven Mehrheit untergeordnet.
Mit dieser Kulturkritik geht ein ökonomisches Argument einher, mit dem jeder vertraut ist, der in den letzten zehn Jahren in einem traditionellen Medienunternehmen gearbeitet hat – vielleicht am aggressivsten artikuliert im 2011 erschienenen Buch Free Ride des amerikanischen Autors Robert Levine, dessen entlarvender Untertitel Wie digitale Parasiten den Kulturbetrieb zerstören, und wie der Kulturbetrieb zurückschlagen kann lautet. In seinem Buch befasst sich Levine eingehend mit der Struktur der modernen »Kulturindustrie« und dem Schaden, der ihren Wirtschaftsmodellen durch die digitalen Technologien zugefügt wurde. »Traditionelle Medienunternehmen stecken nicht deshalb in Schwierigkeiten, weil sie dem Verbraucher nicht geben, was er will«, stellt Levine fest, »sondern, weil sie daran nichts mehr verdienen.«
Gegen die »freien« und »kostenlosen« Konzepte der digitalen Welt sei im Prinzip schwerlich etwas einzuwenden, so Levine, doch was sie in der Praxis bedeuten könnten, sei die Privilegierung einer Infrastruktur auf Kosten jeglicher Kontrolle des Urhebers über sein Werk – ganz zu schweigen von der Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. 3
Freilich kann man nun Haarspalterei betreiben und sich über die statistischen Einzelheiten des Zusammenbruchs der alten Medien streiten. Dennoch wird kaum jemand ernsthaft in Frage stellen, dass durch das Aufkommen der digitalen Medien sowohl bestehenden Geschäftsmodellen als auch kulturellen Grundwerten massiver Schaden zugefügt wurde. Die Frage, um die es eigentlich geht, ist also nicht so sehr, was vor sich geht, sondern welche Auswirkungen zu beobachten sind.
An diesem Punkt verzahnt sich Levines These auf äußerst interessante Weise mit der von Keen. Aus beider Sicht hat die digitale Technologie den am Schöpfungsprozess kultureller und intellektueller Werke Beteiligten sowohl ökonomischen als auch kulturellen Einfluss entzogen und ihn jenen übertragen, welche die Infrastruktur kontrollieren, auf die sämtliche Medien und Gedanken in zunehmendem Maße angewiesen sind. So wie die Online-Autorität zunehmend vom Sachverstand getrennt wird, wird offenbar auch die kulturelle Produktion vom Talent getrennt.
Für alle, denen Qualität ebenso wichtig ist wie Quantität, mag dies verstörend klingen. Es ist eine These, die auf eines der unangenehmsten Paradoxe des digitalen Zeitalters verweist: Vielfalt und Offenheit haben den Einfluss einer kleinen Anzahl von »Playern« nicht untergraben, sondern ihn vielmehr verstärkt.
Waren es einst bloß Tausende von Objekten, die um die Aufmerksamkeit eines Publikums warben, so sind es inzwischen längst Millionen. Dabei bietet die digitale Umgebung mannigfache neue Möglichkeiten für all jene, die eine einigermaßen gut definierte Nische besetzen können – eine Minderheitsbeteiligung ist also langfristig möglich. Die vielleicht bemerkenswerteste Auswirkung dieses Maßstabswandels ist jedoch nicht die Vielfalt, sondern das Wachstum einer immer einflussreicheren Minorität an der Spitze. Einerseits können Unternehmen wie Amazon und eBay über das Internet eine in der prä-digitalen Ära nahezu unvorstellbare globale Dominanz erlangen, andererseits werden kulturelle und intellektuelle Kämpfe mehr denn je von einigen wenigen dominiert, denen es gelungen ist, die Aufmerksamkeit der Massen zu gewinnen.
Diese Art Wettbewerb hat etwas brutal Darwinistisches an sich. Nehmen wir die Bücher. Wenn Sie die physische, nicht digitale Version dieses Buches in Händen halten, handelt es sich dabei um ein Objekt mit einem einzigen Zweck: Es dient ausschließlich dazu, dem Leser die darin gedruckten Worte zu vermitteln. Wenn Sie diese Worte hingegen auf dem Bildschirm eines Gerätes wie dem iPad lesen, dann nehmen sie nicht nur denselben physischen Raum ein wie jeder andere Text in Ihrer digitalen Bibliothek, sondern auch wie sämtliche von Ihnen genutzte Musikstücke, Filme, Nachrichten, Blogs und Videospiele.
Es ist ein Wesenszug des digitalen Zeitalters, dass diese Angebote zunehmend parallel zur Verfügung stehen, dieselben Kanäle nutzen und gleichzeitig oder in nahtloser
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