Wie man sie zum Schweigen bringt
. «
Ein angenehmes Ziehen in den Oberschenkeln erinnerte mich an die vergangene Nacht, und ich wusste, dass ich an der linken Schulter einen Knutschfleck hatte.
»Öfter mal was Neues«, schnaubte Koivu, entschuldigte sich jedoch sofort.
Ich erklärte mich bereit, an der Vernehmung teilzunehmen, allerdings aus reiner Neugier. Koivu hatte den Vernehmungsraum zwei reserviert. Auf dem Weg dorthin nahm ich mir vor, die Umstellung der Zweierteams möglichst bald zur Sprache zu bringen. Wang führte die Zeugin herein. Eriikka Rahnasto sah ihrem Vater ähnlich, doch was ich in seinem Gesicht als Ausdruckslosigkeit wahrgenommen hatte, war bei der Tochter symmetrische Schönheit. Die blaugrauen Augen hatten genau den richtigen Abstand, die Nase war schmal. Die hohen Backenknochen hatte sie offenbar von ihrer Mutter geerbt, denn Reijo Rahnasto hatte ein typisch finnisches Gesicht mit flachen Wangen. Die schulterlangen glatten Haare waren im Nacken lose zusammengebunden. Der legere, aber elegante Leinenanzug ließ mich vermuten, dass sie nicht mit dem Motorrad gekommen war.
Als sie meinen Dienstrang erfuhr, hob sie die sorgfältig gezupften Augenbrauen. Ihre Personalien gab sie höflich, aber ungeduldig an. Koivu erklärte ihr noch einmal, worum es ging, und sagte, sie stehe nicht unter Verdacht, sondern werde als Zeugin vernommen.
»Ich habe von diesem Petri Ilveskivi nie gehört«, sagte sie, und nichts wies darauf hin, dass sie log.
»Sind Sie sicher? Er war ein ziemlich prominenter Kommunalpolitiker und saß mit Ihrem Vater im selben Ausschuss . «
»Für Politik interessiere ich mich nicht. Wahrscheinlich habe ich eine Allergie dagegen entwickelt, weil mein Vater wegen seiner Sitzungen nie zu Hause war. Ich weiß nicht mal, in welchem Ausschuss er zurzeit ist . «
Eriikka Rahnasto hatte keinen Grund, sich mit der Espooer Kommunalpolitik zu befassen, denn sie wohnte in Helsinki, im Stadtteil Töölö, gar nicht weit von meiner alten Wohnung. Gelegentlich schwelgte ich noch in nostalgischen Erinnerungen an diese Zeit. Wenn mich damals jemand gefragt hätte, wer in Espoo im Stadtrat sitzt, hätte ich es auch nicht gewusst.
»Dass die Polizei bei uns in Finnland einen willkürlich verhört, nur weil man eine bestimmte Sorte von Motorradreifen benutzt, hätte ich mir nie träumen lassen«, fuhr Eriikka Rahnasto fort. Ihre tiefe Stimme war gut ausgebildet, sie hatte den gleichzeitig herzlichen und unpersönlichen Stewardessentonfall. »Hätten wir das nicht telefonisch erledigen können? «
»Dann hätten Sie trotzdem herkommen müssen, um Ihre Aussage zu unterschreiben«, erwiderte Wang ruhig. »Erzählen Sie uns bitte, was Sie am Dienstag, dem 22. April, getan haben . «
Eriikka Rahnasto sah von Wang zu Koivu und mir, bückte sich und holte einen Kalender aus der Handtasche.
»Am letzten Dienstag… Da bin ich morgens aus London gekommen, nachdem ich den ganzen Montag zwischen Helsinki und London hin und her geflogen war. Moment… Im Kalender ist nichts eingetragen. Wahrscheinlich habe ich lange geschlafen, Wäsche gewaschen, war im Fitnessstudio, irgend so etwas. Am Abend habe ich mich mit meinem Freund Kim Kajanus getroffen, wir waren um sieben Uhr im ›Motti‹ verabredet. Vielleicht erinnert man sich an uns, wir sind nämlich oft dort. Mein Freund ist Fotograf und hatte im ›Motti‹ einmal eine Ausstellung. Wir haben gegessen und sind dann zu Kim nach Kauniainen gefahren, wo ich die nächsten zwei Tage war. Zufrieden? «
»Es kann also niemand bezeugen, wo Sie zwischen siebzehn und achtzehn Uhr waren? «, hakte Wang nach.
»Ich weiß es ja selbst nicht! Im Job ist alles auf die Minute geregelt, da will ich an meinem freien Tag nicht auch noch auf die Uhr schauen. Vielleicht war ich beim Aerobic, vielleicht bin ich Motorrad gefahren… Genau das wollten Sie natürlich hören. Das ist doch absurd! Warum sollte ich jemanden erschlagen, den ich gar nicht kenne? «
»Denken Sie nochmal nach«, sagte Wang ruhig. »Wir haben Zeit. Führen Sie Tagebuch? «
Eriikka Rahnasto zuckte die Achseln.
»Warum sollte ich? Ich erinnere mich wirklich nicht. Natürlich kann ich darüber nachdenken und auch meinen Freund fragen, vielleicht erinnert er sich. Oder… Warten Sie mal . «
Sie blätterte im Kalender zurück, dann wieder vor und nickte.
»Wahrscheinlich war ich von vier bis halb sechs beim Aerobic. Ich versuche, wenigstens dreimal wöchentlich Gymnastik oder Krafttraining zu machen, und da ich
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