Wie Sand in meinen Händen
klargeworden, dass Peter und ich auf dem besten Weg waren, einen Fehler zu begehen. Ich hätte ihn aus den falschen Gründen geheiratet; das wäre nicht fair gewesen. Ich habe mich nur versteckt …«
»Wovor?«
Regis schüttelte den Kopf. »Spielt das eine Rolle? Verstecken und Geheimniskrämerei sind mehr oder weniger ein und dasselbe. Das solltest du doch am besten wissen.«
»Was willst du damit sagen?«
Regis maß sie mit einem stahlharten Blick, für den sie viel zu jung war. Bernadette sah sich selbst darin und errötete.
»Ich weiß alles über Tom und dich.«
Bernadettes Herz klopfte zum Zerspringen, aber sie war unfähig, sich zu rühren. Wie erstarrt blickte sie den Bücherstapel auf ihrem Schreibtisch an. Der heilige Franz von Assisi war eine Seele von einem Menschen, ein Träumer gewesen. Er hatte alle Kreaturen geliebt, unter den Ärmsten der Armen gelebt und dem Reichtum seiner Familie entsagt. Und Tom Kelly, Spross einer der legendären Familien an der Ostküste Amerikas, war Verwalter von Star of the Sea an der Küste von Connecticut, vertraut und verwachsen mit allem, was die grauen Steinwände bargen.
»Regis.« Bernadette trat näher. »Du glaubst vielleicht, alles zu wissen, aber in Wirklichkeit weißt du gar nichts.«
»Er hat dich geliebt und wollte dich heiraten, aber du wolltest nicht, stimmt’s? Alles fügt sich zusammen – die Geschichte von dem Fund in der Mauer und weshalb meine Familie nach Irland geflogen ist. Und warum Tom und du als Erste dort wart.«
»Regis, das war eine Reise zurück zu den Wurzeln, auf den Spuren unserer Vergangenheit. Toms Vorfahren stammten aus Dublin, deshalb waren wir dort. Das weißt du.«
»Aber ich wusste nichts von dem Geheimnis …«
Bernadette antwortete nicht; sie holte tief Luft und sah Regis schweigend an.
»Das Geheimnis nahm in Irland seinen Anfang.« Regis erwiderte ihren Blick. »Genau wie meines.«
»Schluss jetzt.«
»Dein Geheimnis besteht darin, dass ein Leben begann, während meines darin besteht, dass ein Leben endete.«
»Regis.« Bernie streckte die Hand nach ihr aus, aber Regis wich zurück.
»Vielleicht wird es mir irgendwann leidtun, dass ich mich von Peter getrennt habe. Wünschst du dir nie, du hättest Tom geheiratet?«, fragte sie herausfordernd mit flammenden Augen.
»Regis, das verstehst du nicht. Unsere Geschichten lassen sich nicht miteinander vergleichen. Es ist sehr wichtig für mich, dass du das begreifst.«
»Ich finde, dass sie sich durchaus miteinander vergleichen lassen.« Regis’ Stimme wurde lauter. »Alle Liebesgeschichten sind gleich!«
»Das sind sie nicht«, erwiderte Bernadette flehentlich. »Du glaubst nur, zu verstehen. Doch das Ganze war viel komplizierter, als du denkst.«
»Aber du hast Tom geliebt, oder? Sag, dass ihr euch geliebt habt.«
»Ich habe ihn geliebt, ja«, flüsterte Bernadette.
»Und in Dublin ist etwas geschehen.« Regis schluchzte auf. »Ein neues Leben entstand.«
»Regis, bitte.« Bernadette griff nach ihrer Hand. »Das kannst du nicht verstehen, du kennst nicht die ganze Geschichte.«
Regis griff in die Gesäßtasche ihrer Jeans, zog den Brief heraus, den Honor vor dreiundzwanzig Jahren geschrieben hatte, und legte ihn behutsam auf den Schreibtisch. Bernadettes Augen füllten sich bei dem Anblick des Blattes mit Tränen.
Honors Handschrift – das jugendliche Ungestüm ihrer Freundin, ihre bedingungslose Liebe und Unterstützung spiegelten sich in den zahlreichen Ausrufezeichen wider, die sie gesetzt hatte. Bernie hatte den Brief all die Jahre aufbewahrt – und eines Nachmittags etwas auf den Umschlag gemalt, nachdem sie ihn immer wieder gelesen und versucht hatte, zu einer Entscheidung zu gelangen: das Meerungeheuer aus Tom Kellys Familienwappen. Sie spürte, wie ihr Gesicht brennend heiß wurde.
»Ich habe diesen Brief jahrelang verborgen. Und ihn unlängst deiner Mutter zurückgegeben.«
»Ich weiß. Sie muss ihn mehrmals gelesen haben; ich fand ihn unter einem Platzdeckchen auf dem Küchentisch. Seltsam, dass sie dir solche Dinge geschrieben hat – darüber, dass man ehrlich mit sich selbst sein sollte, wissen sollte, was im Leben wichtig ist, stets die Wahrheit sagen sollte.«
»Ach Regis …« Bernadette bemühte sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu bringen. »Du hast keine Ahnung.«
Sie erinnerte sich, dass Honor aus dem Tagebuch von Bobby Sands zitiert hatte: Der junge Ire war im Gefängnis an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben, den er
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