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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sein Potenzial voll ausschöpfen zu können. Heute hatte er sich am Spätnachmittag in Avon zum Golf verabredet, und er legte Wert darauf, pünktlich am Abschlag zu stehen.
    »Also, sie werden keine Anklage erheben«, sagte Chris. Mit der Persol-Sonnenbrille sah er eher wie ein südfranzösischer Filmstar und nicht wie ein Pflichtverteidiger aus, der zwei mittellose Mandanten über die verschlafene Shore Road kutschierte.
    »Gut«, meinte John. »Vor allem in Anbetracht dessen, dass wir nichts getan haben, was eine Anklage gerechtfertigt hätte.«
    Bei Brendans Schweigen drängte sich ihm erneut die Frage auf, ob das stimmte; hatte der Junge die Blaue Grotte verschandelt?
    »Die Polizei nimmt das Verschwinden deiner Tochter nicht ernst«, fuhr Chris fort. »Sie sind der Meinung, dass Regis ›alt genug‹ ist und eine Nachricht hinterlassen hat, die vernünftig und gut durchdacht zu sein scheint. Ist das ein Problem für dich?«
    »So ist es mir sogar lieber. Ihre Mutter und ich werden sie selber suchen.«
    »Anfangs befürchtete ich schon, dass sie dir deswegen die Hölle heißmachen. Aber wichtig ist, dass du ihr klarmachst, was Sache ist. Du kümmerst dich um die Psychotherapie, und ich werde diskrete Nachforschungen anstellen, wie wir am besten vorgehen.«
    »Nein, Chris.«
    »Halt die Klappe, Sullivan. Ich bin nicht mehr ›Chrysantheme‹, und du bist ein Idiot, der keinen blassen Schimmer von der Justiz hat. Wenn du mich zu dem Zeitpunkt hinzugezogen hättest, als es notwendig gewesen wäre, hätten wir uns diesen ganzen Mist sparen können. Ich bin dein Anwalt, kapiert?«
    John blickte zum Fenster hinaus, hätte in seiner hilflosen Wut am liebsten auf die Windschutzscheibe eingedroschen. Nur die Anwesenheit von Brendan McCarthy, der sich bei den Worten des Anwalts sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen schien, hielt ihn davor zurück.
    »Polizisten lieben es, sich wichtigzumachen«, fuhr Chris fort. »Das weiß ich noch von früher. Erinnerst du dich, Johnny? Wenn Onkel Frank uns seinen Gummiknüppel und seinen Totschläger zeigte und uns erzählte, wie viele Schädel er damit eingeschlagen hatte?«
    »Stimmt. Die Polizei von Black Hall hat uns trotzdem mit Samthandschuhen angefasst.«
    »Stimmt. Aber täusch dich nicht, sie haben dir genau gezeigt, wo’s langgeht. Dank Ralph Drake haben sie deine Akte aus Dublin. Ich kenne ihn seit dem Jurastudium, er ist ein Mistkerl. Wie auch immer, sie wissen, dass du eine Haftstrafe wegen Totschlags verbüßt hast, und wollten dich wissen lassen, dass sie es wissen. Darum ging es, wie du vielleicht bemerkt hast.«
    »Und Brendan?« John beunruhigte der Gedanke, dass seinetwegen ein weiterer junger Mensch in die Mühlen des Gesetzes geraten könnte.
    »Brendan hat nichts zu befürchten«, erwiderte Chris im Brustton der Überzeugung. »Sollten sie noch einmal bei dir auftauchen, Brendan, dann sag ihnen nur, sie sollen sich mit deinem Anwalt in Verbindung setzen.«
    »Ich kann mir keinen Anwalt leisten«, erwiderte Brendan. »Aber vielen Dank, dass Sie sich für mich eingesetzt haben. Ich werde Sie bezahlen, sobald ich kann …«
    »Ha.« Chris bog in die Old Shore Road ein. »Das ist nicht nötig. Du gehörst ja praktisch zur Familie.«
    »Familie? Aber wir kennen uns doch gar nicht«, erwiderte Brendan, und seine Augen leuchteten.
    Chris warf ihm einen raschen Blick zu. »Stimmt, aber als John mich anrief, sagte er, du wärst ein Freund von Agnes. Also gehörst du nach meinem Dafürhalten zur Familie.«
    »Ach so, ich dachte, Sie hätten gemeint … dass wir verwandt sind.«
    John spürte, wie angespannt Brendan war – er war überrascht, dass Chris nichts merkte. Brendan zitterte buchstäblich vor Nervosität.
    »So abwegig ist der Gedanke nicht«, meinte Chris. »Du könntest durchaus ein Kelly sein – diese umwerfenden blauen Augen und dieser Kampfgeist. Aber das trifft auf einen Großteil der Bewohner dieses Bundesstaates zu, die in Irland geboren, katholisch und Parteigänger der Demokraten sind.«
    »Das ist alles?«
    Chris lachte stillvergnügt in sich hinein. »Ich denke schon, junger Mann. Aber möglich ist natürlich alles.«
    Er schaltete herunter, und das Röhren des Sportwagens verwandelte sich in ein kehliges Schnurren. Als sie in die Zufahrt einbogen und das Steintor von Star of the Sea passierten, versetzte es John einen Stich. Er kam nur nach Hause, um seine Koffer zu packen. Die Erfahrung auf dem Polizeirevier hatte ihn mehr denn je davon

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