Wie Sand in meinen Händen
lachend.
»Und das ist mitten zwischen den Augen.« Tom lachte schallend; die beiden Freunde hatten seit jeher ihren Spaß daran, sich gegenseitig aufzuziehen. »Na komm, lass uns den Schandfleck beseitigen und uns an die Arbeit machen.«
»Gut, fangen wir an.«
»Wirklich?« Tom klang überrascht. »Aber du hast es doch gerade erst errichtet – das sollte ein Scherz sein.«
»John formt seine Skulpturen aus dem, was die Natur zu bieten hat«, sagte Honor.
»Und in der Natur ist nichts von Dauer.« John streckte die Hand aus, um die Steine der Pyramide abzutragen und in die Schubkarre zu werfen. Scheppernd stießen sie gegen das Metall und gegeneinander.
Seine Bereitschaft, zu zerstören, was er gerade erst geschaffen hatte, schien Tom zu erschrecken. Honor hatte angefangen, sich an Johns Arbeitsstil und die Tatsache zu gewöhnen, dass er sich von den Erscheinungsformen der Natur inspirieren ließ, die kurzlebig und unkontrollierbar waren.
»Na gut, mit abstrakten Dingen kannst du umgehen«, räumte Tom ein. »Dann lass uns mal sehen, wie du diese Steine auf die Mauern schichtest, so dass sie ein stimmiges Bild ergeben.«
»Du bist der Junge aus reichem Hause.
Ich
stamme von den besten Mauerbauern in Irland ab«, sagte John. »Das schaffe ich mit links.«
»Das will ich sehen! Klotz ran, statt dir den Mund fusselig zu reden, Sullivan.«
Bernie beobachtete sie lächelnd. Strähnen ihres kupferfarbenen Haares waren aus dem Sonnenhut gerutscht und schimmerten im Sonnenschein. Honor warf ihr einen verstohlenen Blick zu und bemerkte, dass Bernie kaum die Augen von Tom abwenden konnte. Da die Anziehungskraft zwischen den beiden seit jeher offensichtlich gewesen war, sagte John oft, er wette, dass Bernie und Tom bis Weihnachten verlobt sein würden. Doch Bernie hatte Honor anvertraut, in was für einem schrecklichen Konflikt sie sich befand – sie liebte Tom, aber sie fühlte sich gleichzeitig zu der Ordensgemeinschaft der Schwestern von Notre-Dames-des-Victoires hingezogen, eine tiefe Verbundenheit, die sie nicht ignorieren konnte. Honor hatte geschwiegen und das Geheimnis bewahrt, wie sie es Bernie versprochen hatte.
Honor und Bernie lachten und feuerten John und Tom an, die ihre Schubkarren beluden, im Dauerlauf den Hügel zur längsten Mauer auf dem Anwesen erklommen, die sich von der Kapelle bis zum Meer erstreckte; dieselbe Mauer, in der Honor, John und Regis einige Jahre später Sisela finden sollten.
Die beiden Frauen gesellten sich zu ihnen; Bernies Haar wehte in der Meeresbrise, als sie es unter den Hut zurückschob.
»Manche Dinge ändern sich nie«, sagte Bernie. »Seit dem zwölften Lebensjahr versuchen die zwei, sich gegenseitig zu übertrumpfen.«
»Ja, ich erinnere mich. Schau sie dir an – John versucht zu beweisen, dass er die Steinmetz-Gene geerbt hat …«
»Und Tom gefällt sich wieder einmal in seiner Pose als Held der Arbeiterklasse. Versucht jeden vergessen zu machen, dass sein Urgroßvater Besitzer dieser riesigen Ländereien war. Aber eines muss man ihm lassen – vom Mauerbau versteht er etwas.«
Die Mauer war ungefähr eineinhalb Meter hoch und einen halben Meter breit, als Schichtmauer ohne Mörtel errichtet. Die uralten Steine waren mit Flechten bewachsen. Honor und Bernie sahen zu, wie Tom eine Stelle an einem Hang auswählte, wo die Mauer niedriger war. Er legte die neuen Steine flach obenauf, so, wie sie auch auf der Erde gelegen haben könnten. Tom hatte ein Gespür dafür, sie richtig anzuordnen, sie so zusammenzufügen, dass eine durchgehende Reihe entstand, die sich auf gleicher Höhe mit der oberen Kante des auf dem Hügel befindlichen Mauerabschnitts anschloss.
»Nicht schlecht, Kelly«, lobte John. »Vielleicht steckt ein besserer Steinmetz in dir, als du glaubst.«
»Zum Teufel, wovon redest du eigentlich, Sullivan? Deine Steinmetzarbeiten sind nur ein Hobby – was ich hier verrichte, ist Männerarbeit!«
»Was du nicht sagst! Ich werde dir zeigen, was Männerarbeit ist.« John schoss Honor ein Grinsen zu und hob den größten Felsbrocken aus seiner Schubkarre. Seine Knie gaben unter dem Gewicht nach, als er zur Mauer wankte, hinaufsprang und ihn in Siegerpose hoch über den Kopf hievte. Seine Hände mussten glitschig vom Schweiß gewesen sein, denn er drehte den Stein wie einen Basketball und ließ ihn beinahe fallen, bevor er ihn wieder in den Griff bekam und mit Getöse auf die alten Steine fallen ließ, wobei er das Gleichgewicht verlor und mit dem
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