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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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gemalt hatten. Ihre gemeinsamen Hoffnungen und Träume waren spannend und motivierend gewesen, sie fühlten sich in dem Bedürfnis verbunden, Kunst zu schaffen. Nun spürte Honor, wie dieses Bedürfnis sie aufs Neue durchflutete.
    »Wo ist er?«, flüsterte sie der Katze zu.
    Sisela miaute, genau wie früher als kleines Kätzchen, als die Sullivans sie auf der alten Mauer gefunden und vor dem Hungertod gerettet hatten. Honor streichelte sie, betrachtete ihre Staffelei und hatte das Gefühl, ihr Herz sei versteinert. Dann nahm sie ihre Palette und begann, Farben zu mischen.

[home]
    6. Kapitel
    D as weitläufige Gelände der Akademie war von einem satten Grün, selbst in der Sommerhitze. Am Donnerstagvormittag brachte Tom Kelly eine Schubkarre mit Steinen zur Grotte, das T-Shirt schweißgetränkt. Er war unten im Strandcottage gewesen, um es herzurichten. Klamm und moderig, wie es war, musste es mindestens einen Monat durchgelüftet werden. Aber es blieb ja genug Zeit … Zwei junge Novizinnen gingen vorüber und wünschten ihm einen guten Morgen. Er erwiderte den Gruß wohlerzogen, obwohl er ihnen am liebsten nahegelegt hätte, von hier zu verschwinden, solange noch die Möglichkeit dazu bestand. Welche Frau würde sich hier freiwillig einsperren lassen? Als er die Karre vor sich herschob, dachte er daran, wie oft er schon auf diesen Wegen entlanggegangen war. Als kleiner Junge war er am vierten Juli mit seiner ganzen Familie zum Picknick hierhergefahren, in schwarzen Cadillacs, die an einen Leichenzug erinnerten. Seine Mutter und sein Vater, seine Brüder und Schwestern, Tanten und Onkel, sämtliche Cousinen und Cousins.
    Sie fuhren in Hartford los, alle hintereinander, schwarze Luxuskarossen, dicht aufeinander folgend, beinahe Stoßstange an Stoßstange. Sie waren
die
Kellys, inoffiziell die erste Familie im Staate Connecticut. Einst bettelarm, hatten sie den Aufstieg zur Macht geschafft und – genau wie in Irland – zahlreiche Polizisten, Politiker, Rechtsanwälte und Richter aus ihren Reihen hervorgebracht. Niemand hätte es gewagt, sich mit den Kellys anzulegen.
    Tom wusste, dass sich sein Vater und die meisten seiner Vorfahren im Grabe umdrehen würden, wenn sie sehen könnten, dass er sein Leben damit verbrachte, Steine auf dem einstigen Kronjuwel des Kelly-Immobilienimperiums herumzukarren: auf Star of the Sea, dem früheren Stella Maris. Diese irischen Einwanderer hatten den schönsten Landsitz in ganz Neuengland in ihren Besitz gebracht, der an der Stelle lag, wo der idyllische Connecticut River in den Long Island Sound mündete. Dass sie ihn dann, ohne mit der Wimper zu zucken, den Nonnen als Schenkung vermachten, die auf dem Gelände eine der besten Mädchenschulen Amerikas gründeten, erfüllte Toms Familie mit unbändigem Stolz, denn dies war ein Schlag ins Gesicht der hochnäsigen Yankee-Elite Connecticuts gewesen.
    Doch in Toms Augen war seine Familie keinen Deut besser als sie. Für sie zählte nur eines: der gesellschaftliche Aufstieg. Die reichsten unter ihnen hatten Immobilien am Merrion Square in Dublin erworben und im Lauf der Jahrzehnte ihre Ziele immer höher gesteckt: Sie waren bestrebt, stets den neuesten Cadillac zu fahren, in den protzigsten Häusern zu wohnen, ihren Grundbesitz fortwährend zu mehren und sich mit dem Bau des höchsten Wolkenkratzers in Hartford ein Denkmal zu setzen. Die Generation von Toms Vater hatte die Schulen der Jesuiten besuchen müssen; Tom und seine Geschwister, Cousins und Cousinen waren auf elitäre Schulen wie Hotchkiss, Taft und Miss Porter’s geschickt worden, als gelte es, die eigene Herkunft vergessen zu machen.
    Tom hatte in der Schule einen Gedichtband entdeckt, der ihn aufgerüttelt hatte:
My Dark Fathers
von Brendan Kennelly. Er beschrieb die große Hungersnot in Irland und wie sie den Mut und den Lebensgeist eines ganzen Volkes gebrochen hatte:
    Als die Winde des Hungers an jeder Tür heulten,
    Hörte sie, wie die Musik verstummte, und vergaß den Tanz.
    Tom begann über seine eigene Familie nachzudenken. Keiner seiner Verwandten erwähnte jemals die Hungersnot; sie sprachen nie über die alte Heimat. Ihre Gespräche drehten sich ausschließlich darum, zu gewinnen, vorwärtszukommen, Rivalen zu übertrumpfen. Doch Kennellys Gedichte hatten Toms Neugierde und das Bedürfnis geweckt, mehr über jenen Tanz zu erfahren, den alle vergessen hatten.
    Als er sich der Blauen Grotte näherte, klopfte Toms Herz. Während er von John Sullivan etwas über

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