Wie Sand in meinen Händen
Dunkeln Ungeheuern und wilden Bestien gleichend. Das steinerne Strandcottage, menschenleer und mit geschlossenen Fensterläden, warf unheimliche Schatten auf den Sand. Zitternd lief Cecilia an der Gezeitenlinie hin und her und suchte die Wellen nach Agnes ab.
»Agnes! Agnes! Wo bist du!«, schrie Regis.
»Agnes!«, brüllte Cecilia.
Plötzlich ertönten Geräusche am Strand. Cecilia kniff die Augen zusammen, als sie sah, wie ein echtes Ungeheuer auftauchte und sich über Agnes kniete, die auf dem Strand lag. Sie packte Regis, wich zurück und brachte vor Angst keinen Ton heraus.
Im Gegensatz zu Regis. Cecilia hörte, wie ihre Schwester Luft holte, und hätte schwören mögen, dass sie erleichtert statt zu Tode erschrocken klang. Cecilia wäre am liebsten davongelaufen, um ihre Mutter und Tante Bernie zu holen und die Polizei zu benachrichtigen, aber Regis rannte auf die dunkle Gestalt zu.
»Dad«, schrie sie und warf sich neben ihn in den Sand.
Seine älteste und seine jüngste Tochter liefen auf ihn zu. Er sehnte sich unsäglich danach, sie in die Arme zu schließen, aber das musste warten – Agnes regte sich immer noch nicht, die Lippen waren blau; sie zu retten war wichtiger. Er hatte sie aus den Wellen gezogen, und nun lag sie auf dem Rücken im Sand, den Kopf nach hinten geneigt, die Atemwege frei, aber sie atmete nicht. Er beugte sich über sie, begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, die Hände von ihrem Blut verschmiert.
»Was ist passiert?« Cecilia, um einiges gewachsen, brach in Tränen aus.
»Oh nein!« Regis, seine Lieblingstochter, ergriff Agnes’ Hände, schüttelte sie, versuchte sie aufzuwecken.
»Könnt ihr Hilfe holen?«, fragte er zwischen zwei Atemzügen. »Sagt eurer Mutter Bescheid – wir brauchen einen Krankenwagen.«
»Lauf, Cece«, befahl Regis.
»Lauf!«
Cecilia rannte los, über den Strand, während ihr Schluchzen im Wind widerhallte, kletterte die Böschung an der Stelle hinauf, wo die Mauer steil abfiel, die Mauer, von der Agnes ins Meer gesprungen war.
»Dad, sag mir, was ich tun kann«, bat Regis.
»Halt ihre Hand«, sagte John zwischen zwei Atemzügen. »Tu alles, damit sie bei uns bleibt.«
»Mit ihr reden, oder? Agnes, ich bin’s, und Dad ist auch da. Er ist nach Hause gekommen …«
John setzte seine Atemspende fort, zählte eins, zwei, beatmete sie weiter, hielt seine bewusstlose Tochter in den Armen, legte sie auf den Boden zurück, presste mit aller Kraft ihr Brustbein zusammen, eins, zwei, blies ihr erneut seinen Atem ein. Die Sterne neigten sich am Himmel, jedes Mal, wenn er den Kopf drehte. Seine Töchter hier – er hatte sie heute Abend alle drei gesehen.
Oh Gott, dafür danke ich dir. Aber mach, dass Agnes am Leben bleibt. Gott, Gott …
Gebete fielen ihm schwer, verbittert, wie er geworden war, aber dennoch,
Gott, Gott …
»Agnes, kannst du mich hören?«, rief Regis.
John atmete in den Mund seiner Tochter, bemühte sich darum, ihr Leben einzuhauchen, ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen, sie zum Atmen zu veranlassen.
»Bleib bei uns, alles wird gut, du wirst wieder gesund«, sagte Regis beschwörend. »Dad ist zu Hause, er ist hier, wir sind wieder zusammen. Kannst du mich hören? Wir sind alle zusammen!«
Johns Herz dröhnte so laut wie Trommelschläge, die in seinem Kopf widerhallten und seinen Brustkorb zu sprengen drohten. Es brachte ihn schier um den Verstand, seine Töchter wiederzusehen, Agnes auf dem kalten Sand, und er durfte sie nicht verlieren.
»Ich brauche dich«, sagte Regis flehentlich.
Ein Nachtvogel schrie im Gebüsch, oben auf der Böschung; kleine Tiere huschten durch das Gestrüpp. Das Tosen der brechenden Wellen an der Sandbank war bis hierher zu vernehmen. Regis weinte leise vor sich hin. John beatmete Agnes, wieder und wieder.
Ein Husten – dann ein Würgen. Agnes drehte den Kopf zur Seite, Meerwasser floss aus ihrem Mund. Ein Aufschluchzen, nicht von Agnes, sondern von Regis. Und von John. In der Ferne – Schritte, die in fliegender Hast den Strand entlangkamen. Erstickte Rufe, atemlos, von Panik erfüllt. John hätte die Stimme überall erkannt. Er hielt Agnes immer noch in den Armen –
kann sie nicht loslassen –
und blickte zu den Sternen empor, blickte in das Gesicht seiner Frau.
»Honor.«
»O mein Gott! Was ist passiert? Was hast du gemacht?« Honor stürzte sich auf ihn, trommelte mit den Fäusten auf ihn ein, stieß ihn beiseite, versuchte, ihm Agnes zu entreißen.
»Mom, sie hat gerade
Weitere Kostenlose Bücher