Wie Sand in meinen Händen
Krämpfe auf. Das Funkgerät knisterte.
»Darf ich zu ihr?«, fragte John.
»Zu der Patientin?«, fragte der Polizist verwirrt.
»Das ist meine Tochter; ich muss zu meiner Frau und meinem Kind.«
»Sobald Sie meine Fragen beantwortet haben«, erwiderte Sergeant Kossoy.
Autoscheinwerfer tauchten aus der Dunkelheit auf. Jemand stieg aus – Regis, sie rannte auf ihn zu. Sie war außer Atem, hielt sich die Seite. Sie ergriff Johns Hand, blickte dem Polizisten direkt in die Augen.
»Wir brauchen meinen Vater, und zwar jetzt. Ihre Fragen können warten«, erklärte sie.
Als die Sanitäter die Trage in den Rettungswagen schoben, stieg John zu Honor und Regis ins Auto, um dem Wagen ins Krankenhaus zu folgen; er musste sich bei dem Gedanken an das letzte Mal zusammenreißen, als Regis und er sich mit der Polizei konfrontiert sahen.
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8. Kapitel
H onor konnte kaum noch atmen. Sobald sie in der Klinik waren, musste sie sich hinsetzen, den Kopf zwischen die Knie, um die Blutzufuhr zu verbessern und nicht ohnmächtig zu werden. Regis und Cece liefen unruhig auf und ab, erkundigten sich ständig, ob John und sie etwas brauchten. Honor drückte ihnen fünf Dollar in die Hand und trug ihnen auf, Tee mit Milch und Zucker zu besorgen, damit sie das Gefühl hatten, etwas tun zu können.
John saß neben ihr.
Honors Nerven lagen blank. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie hatte sich im Laufe der Jahre einen Schutzpanzer zugelegt, hatte sich verboten zu weinen; doch nun war ihr, als hätten sich die ungeweinten Tränen aufgestaut, lagen schwer wie ein Stein in der Brust. Doch bei aller Härte brachte sie es nicht fertig, John in die Augen zu schauen.
Das Licht im Warteraum war grell. Zu harsch für einen Ort, an dem Kummer und Sorgen an der Tagesordnung waren. Selbst die Schatten hatten etwas Unerbittliches. Honor blickte sich im Warteraum um, sah andere Familien dicht beieinandersitzen. Was mochte sie hergeführt haben? Es war leichter, sich das Leid anderer Menschen vorzustellen, es lenkte sie von der Angst um Agnes ab.
»Honor«, sagte John.
Sie ertrug es nicht, ihn anzusehen – selbst ein flüchtiger Blick in sein Gesicht versetzte sie in Panik. Die tief eingegrabenen Falten, die vom Mund abwärts verliefen. Das Haar, von grauen Strähnen durchsetzt, war kurz geschnitten, wie abrasiert. Früher war es dunkel und wellig gewesen, charakteristisch für den dunklen irischen Typ, aufreizend und verwegen. Er sagte abermals ihren Namen, und nun musste sie ihn anschauen: Seine Augen waren noch immer hellblau. Eisblau nannte man das, aber das war ein Witz, denn sie hatten immer Wärme ausgestrahlt, genau wie jetzt. Sein Blick ließ sie schaudern.
»Ich habe Angst, John.«
»Ich weiß. Ein schlimmer Sturz.«
»Ist sie gefallen oder gesprungen?«
»Das habe ich nicht gesehen.« Er verstummte. »Gesprungen? Ist das dein Ernst? Du meinst, von dort oben?«
Honor wagte es nicht, über ihre Befürchtungen nachzusinnen, und schloss die Augen.
Warum drohte ihren Töchtern nur dann Unheil und Gefahr, wenn sich John in der Nähe befand?
»Leidet sie unter Depressionen? Hat sie so etwas schon einmal gemacht?«
»Sie hat keine Depressionen! Und sie hat so etwas noch nie gemacht. Was hast du zu ihr gesagt? Hast du –«
»Ich hatte keine Ahnung, dass sie dort war!«
»Hat sie sich vielleicht mitten in der Nacht davongeschlichen, um dich zu treffen?«
»Honor, nein. Keines der Mädchen wusste, dass ich hier bin. Ich bin gerade erst angekommen.«
»Ich hoffe, das stimmt – denn ich schwöre dir, nach allem, was mit Regis passiert ist, würde ich dich umbringen, wenn du noch einmal auf die Idee kommen solltest, den Mädchen so etwas anzutun.«
»Honor –«
»Wenn du glaubst, du müsstest dein Leben aufs Spiel setzen, bitte sehr – ich habe es aufgegeben, mir deinetwegen den Kopf zu zerbrechen. Mach, was du willst. Stell dich auf die nächstbeste Klippe, wenn es dir Spaß macht. Aber lass meine Töchter aus dem Spiel! Ich möchte nicht, dass du ihr Leben gefährdest. Es reicht, dass Agnes jetzt da drinnen ist …« Honor schluckte, unfähig, darüber nachzudenken, was mit ihrer Tochter geschehen könnte.
»Ich weiß, Honor. Ich weiß, und ich bin ganz deiner Meinung. Deshalb wollte ich wissen … Warum ist sie von dort oben ins Wasser gesprungen?«
»John!« Ein Aufschrei löste sich in ihrer Brust. »Was spielt das jetzt für eine Rolle? Sie ist dort drinnen, bewusstlos, das ist alles, woran ich im Moment
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