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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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denken kann!«
    Seine Augen waren von einer Besorgnis erfüllt, die ihr fast den Verstand raubte. Sie schauderte, als sie an all die kleinen Kümmernisse dachte, die ihm entgangen waren, an kleine Verletzungen, die sich ihre Töchter zugezogen hatten, an die Notaufnahme verschiedener Krankenhäuser, wo sie ohne ihn gesessen und gewartet hatte – Lappalien im Vergleich zu dem, was Regis oder Agnes widerfahren war. Fieber, ein verstauchter Knöchel, Ohrenschmerzen. Es kam ihr unwirklich vor, dass er nun bei ihr war, doch seine Abwesenheit war ihr nicht minder unwirklich erschienen.
    In diesem Augenblick kam die Ärztin heraus, und John und Honor sprangen auf. Groß und schlank, die langen braunen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, trug sie einen grünen Kittel und ein Armband aus tibetischen Gebetsperlen am Handgelenk und stellte sich als Dr. Shea vor. Honor hätte sie am liebsten geschüttelt, um endlich zu erfahren, was mit Agnes war.
    »Was ist mit ihr? Wie geht es Agnes?«
    »Sie hat eine Gehirnerschütterung. Und ihr Schädel weist einen Haarriss auf. Wie lange war sie im Wasser?«
    »Nur ein paar Sekunden«, erklärte John. »Ich bin sofort zu ihr gelaufen, als ich den Aufprall hörte.«
    »Wissen Sie, wie lange der Atemstillstand gedauert hat?«
    Honors Knie drohten nachzugeben. Das war genau die Frage, vor der ihr graute. Sie dachte daran, was sie über Menschen gelesen hatte, die um ein Haar ertrunken wären: Sie schluckten Wasser, die Atmung setzte aus, die Sauerstoffversorgung des Gehirns war unterbrochen. Der Gedanke, dass ihrer quecksilbrigen Agnes so etwas passieren könnte, war unerträglich. Sie brach in Tränen aus und spürte, wie John seinen Arm um ihre Schultern legte, stark und fest.
    »Nicht lange«, erwiderte John. »Ich habe sofort mit der Mund-zu-Mund-Beatmung begonnen. Und die Atemspende ein paar Minuten fortgesetzt. Bis sie hustete und anfing, selbst zu atmen.«
    Dr. Shea nickte. Ihr Blick war ermutigend, aber Honor war weit davon entfernt, Mut zu fassen. Sie war zu sehr erschüttert und nervös, die Frage beschäftigte sie –
wie lange hatte Agnes nicht geatmet?
    »Sie kommt allmählich zu sich«, sagte Dr. Shea. »Ein gutes Zeichen.«
    »Ist sie wach?«, fragte John.
    »So würde ich das nicht nennen, aber sie ist ansprechbar und weiß, wer sie ist. Sie hat mir erzählt, dass sie zwei Schwestern hat …«
    »Stimmt«, bestätigte Honor.
    »Wir werden gleich einen umfassenden Test durchführen, der aufschlussreicher über ihren mentalen Status ist; ich wollte Sie nur kurz über den aktuellen Stand der Dinge informieren. Ihr EKG hat gezeigt, dass ihr Herz nicht gleichmäßig schlägt. Bleibt abzuwarten, ob das kurzfristig ist oder von längerer Dauer.«
    »Kopfverletzungen können solche Unregelmäßigkeiten auslösen«, sagte John, und Honor sah ihn an.
    »Das ist richtig«, meinte Dr. Shea. »Sie muss mit dem Kopf gegen einen Felsen geprallt sein. Sie hat eine schlimme Platzwunde direkt über der linken Schläfe – wir mussten sie gleich in der Notaufnahme nähen, aber morgen wird ein plastischer Chirurg sie noch einmal anschauen. Im Moment ist der Neuro bei ihr.«
    »Der Neuro?«, fragte Honor.
    »Der Neurochirurg. Um Aufschluss über das Hämatom und die Möglichkeit einer Schwellung zu gewinnen. Eine Schwellung ist nicht gut für das Gehirn.«
    »Und, ist eine Schwellung vorhanden?«, fragte Honor gereizt, kurz davor, aus der Haut zu fahren. Doch Johns Arm war da, hielt sie fest.
    »Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt«, sagte Dr. Shea, ohne die Frage zu beantworten. »Bei Kopfverletzungen halten wir immer nach solchen Begleiterscheinungen Ausschau. Doch soweit ich es beurteilen kann, hatte Ihre Tochter Glück im Unglück; trotz der Kopfverletzung ist sie glimpflich davongekommen. Es scheint keine nennenswerte Schwellung vorhanden zu sein. Ihr Zustand ist stabil. Sie war nicht lange ohne Sauerstoff. Und sie wurde rasch ins Krankenhaus eingeliefert, und wir beobachten sie noch eine Weile.«
    »Habe ich …«, begann John. Er hielt Honor im Arm, um ihr Halt zu geben, doch sie sah, dass er gleichermaßen verloren wirkte und Halt bei ihr suchte. Sein Gesicht war hager, leidgeprüft und angespannt, in seinen Augen standen Tränen. »Habe ich etwas falsch gemacht, wäre es besser gewesen, sie nicht zu bewegen?«
    »Bewegen?«, fragte Dr. Shea.
    »Ich habe sie hochgehoben und nach oben getragen, statt auf die Ambulanz zu warten. Hätte ich sie auf dem Boden liegen lassen

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