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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sollen?«
    »In den meisten Fällen ist es angeraten, auf die Ambulanz zu warten, das schärfen wir den Leuten immer wieder ein. Aber hier handelt es sich um Ihre Tochter, nicht wahr? Sie haben getan, was Sie für das Beste hielten.«
    »Habe ich dadurch noch mehr Schaden angerichtet?«
    »Wenn Sie eine Rückenmarksverletzung davongetragen hätte, würde ich sagen, ja. Viele Kopfsprünge in flaches Wasser, zumal bei Dunkelheit, enden damit – doch das ist hier zum Glück nicht der Fall. Aus meiner Sicht haben Sie dazu beigetragen, sie auf schnellstem Weg ins Krankenhaus zu schaffen, und das ist gut. Sehr gut sogar. Sie hatte einen Kreislaufzusammenbruch, war im Schock.«
    John blickte sie schweigend an.
    »Wir möchten Ihre Tochter über Nacht dabehalten, um weitere Untersuchungen durchzuführen und sie zu beobachten. Einverstanden?«
    Honor stand schweigend da. Die Ärztin blickte von Honor zu John, wartete auf eine Antwort.
    »Natürlich«, sagte John schließlich, als er merkte, dass Honor wie erstarrt war. »Und vielen Dank für alles.«
    Honor wollte sich ebenfalls bedanken, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt.
    Als sie den Blick hob, sah sie die Abschürfung auf seiner Wange, wo sie ihn offenbar mit der Faust getroffen hatte.
    »Es ist lange her«, sagte John rauh.
    Honor sah ihn an. »Was?«
    »Dass ich eine Entscheidung treffen musste, die eine meiner Töchter betrifft.«
    Kaum war die Ärztin gegangen, wurde die Tür des Wartezimmers aufgerissen und Regis und Cecilia stürmten herein. Regis trug den Tee und sah Honor und John mit großen Augen an; wie eine Fünfjährige, die glaubt, es stünde in der Macht ihrer Eltern, den Lauf der Welt zu beeinflussen.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Sie hat das Schlimmste überstanden«, erwiderte Honor.
    »Ganz sicher?«
    »Wann darf sie nach Hause?«, wollte Cecilia wissen.
    »Wahrscheinlich wird sie morgen entlassen. Sie möchten sie über Nacht zur Beobachtung dabehalten.«
    »Darf ich zu ihr?«, erkundigte sich Regis.
    »Die Ärzte sind noch bei ihr. Sie sagen Bescheid, wenn es so weit ist. Komm her.« Honor breitete die Arme aus. Mit einer einzigen schnellen Bewegung hatte Regis den Tee abgestellt und stürzte sich in die Arme ihrer Mutter. Honor spürte, wie sie zitterte. Sie fühlte sich selbst wie gerädert. Sie blickte über Regis’ Schulter und sah, dass John sie beobachtete. Cece ging zu ihm; seine Miene hellte sich auf, er wirkte überrascht.
    Sie reichte ihm den Tee, den sie aus der Cafeteria mitgebracht hatten.
    »Danke.«
    »Er ist heiß. Verbrenn dir nicht den Mund.«
    »Ich passe auf.« Er sah sie an, versuchte zu lächeln.
    Honor schloss die Augen, war hin- und hergerissen. Sie waren so glücklich gewesen, John hatte seine Familie abgöttisch geliebt. Doch sein Anblick versetzte ihr einen Stich. Sein Gesicht wirkte hart, die Kiefer waren zusammengepresst, die Wangen hohl. Man sah ihm an, dass er einige Zeit im Gefängnis verbracht hatte. Doch er hatte Tränen in den Augen. Er räusperte sich, wandte sich ab.
    Doch Regis sah es. Sie riss den Mund auf, legte die Hand auf Ceces Schulter. Beide waren erschrocken. Obwohl John und Honor nur wenige Schritte voneinander entfernt saßen, trennte sie eine unüberbrückbare Kluft. Sie brachte es nicht fertig, ihn zu trösten, denn jeder Anflug von Zärtlichkeit war im Keim erstickt worden, und sie spürte, wie sie sich wieder verschloss. So viel Kummer und Leid, nur aufgrund des Leichtsinns, mit dem er sich in Gefahr begeben hatte.
    »Dad, alles ist gut«, sagte Regis.
    Er schüttelte den Kopf. »Ist es nicht.«
    »Dass wir wieder zusammen sind, ist alles, was zählt. Das ist im Augenblick das Wichtigste.« Regis blickte Honor hilfesuchend an, aber sie konnte weder nicken noch auf andere Weise ihre Zustimmung ausdrücken.
    Sie waren keineswegs wieder zusammen, zumindest nicht in dem Sinne, wie Regis meinte. Heute Abend hatte das Schicksal sie zusammengeführt, doch das war auch schon alles. Honors Blick fiel auf Regis’ linke Hand, auf den Verlobungsring, den Peter ihr geschenkt hatte. Honor hatte ihren Ring schon vor langer Zeit abgenommen, und das sagte alles. Ihr Herz klopfte, als die beiden Mädchen sie ansahen, darauf warteten, dass sie die Situation bereinigte.
    Doch dazu war sie nicht in der Lage. Ihr Schweigen war wie eine tickende Zeitbombe.
    Regis hielt die Spannung nicht mehr aus und sprang auf, stürmte durch die Tür der Notaufnahme, ungeachtet dessen, dass Unbefugten der Zutritt verboten

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