Wie Sand in meinen Händen
dankbar. Ihr schwindelte, obwohl sie saß, und sie berührte ihre Stirn, um sich wieder zu fangen.
»Alles in Ordnung?« Brendan beugte sich zu ihr und legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter.
»Ja, alles bestens. Aber hin und wieder wird mir schwindelig.«
»Das ist nach einem stumpfen Schädeltrauma keine Seltenheit.«
»Nach einem was? Ich dachte, ich hätte einen Schädelbruch.«
»Hast du auch.« Brendan setzte sich neben sie. »Zum Glück handelt es sich nur um einen Haarriss; die Gehirnerschütterung war schlimmer. Du hast beim Aufprall auf den Felsen ein sogenanntes stumpfes Schädeltrauma erlitten, das den Krampfanfall ausgelöst hat und nun das Schwindelgefühl hervorruft. Das geht vorbei, du wirst wieder ganz gesund.«
»Du hörst dich an wie ein Arzt.«
»Genau das will ich werden. Die MSAT s habe ich bereits hinter mir.«
»Die was?«
»Die Tests für die Zulassung zum Medizinstudium. Ich habe zuerst eine Ausbildung zum Pfleger gemacht, das konnte ich mir finanziell gerade noch leisten. Ich wusste schon immer, dass ich Arzt werden will. Ich kann es nicht ertragen, Menschen leiden zu sehen; ich möchte alles tun, um ihnen zu helfen.«
Agnes blickte ihn an, sah das Feuer in seinen Augen. Regis hatte ihm den Spitznamen Erzengel gegeben, und vielleicht steckte ein Körnchen Wahrheit darin.
Agnes hatte so lange auf eine Vision gewartet, dass sie die Hoffnung fast aufgegeben hatte. Doch wenn sie Brendan anschaute, bekam sie eine Gänsehaut. »Kennst du jemanden näher, der gelitten hat; ich meine, abgesehen von deinen Patienten?«
»Meinen Bruder. Er hatte Leukämie.«
»Das tut mir leid.« Ohne zu überlegen, ergriff sie seine Hand.
»Wir waren damals noch klein. Ich war sieben, und er war zwei. Er hatte gerade laufen gelernt – ach, was sage ich, nicht laufen, sondern
rennen
. Und er konnte mit dem Ball umgehen … Roger Clemens wäre vor Neid erblasst, wenn er diese Bombenwürfe gesehen hätte. Sein Name war Patrick, aber wir nannten ihn Paddy.«
Agnes ließ ihn reden, behielt ihre Gedanken für sich. Sie wusste um die Macht der Spitznamen. Sie waren ein Kennzeichen der Stammeszugehörigkeit und riefen den Träger wie Trommelschläge an das Lagerfeuer seines Clans. Als ihr Blick auf das Fenster fiel, sah sie Regis und Cece hinausspähen; sie verfolgten offenbar genau, was sich auf der Veranda tat. Agnes erinnerte sich mit einem Mal, dass ihr Vater Regis früher immer »Eule« genannt hatte, weil sie nie schlief.
»Was wurde aus Paddy?«
»Wie bereits gesagt, er wurde krank. Zuerst wussten wir nicht, was er hatte; es war wie eine schlimme Erkältung, die nicht vorbeigehen wollte. Als sich sein Zustand zusehends verschlechterte, brachte meine Mom ihn ins Krankenhaus, in die Notaufnahme. Dort wurden Blutuntersuchungen durchgeführt, und dabei stellte man die Leukämie fest.«
»Und du hast versucht, ihm zu helfen …«
»Soweit es in meiner Macht stand. Ich habe Ball mit ihm gespielt, als er das Bett hüten musste. Aber er verletzte sich so leicht. Deshalb mussten wir aufhören – wenn ich ihn versehentlich traf, hatte er Schmerzen.« Brendan machte eine Pause. »Manchmal durfte ich sein Zimmer überhaupt nicht betreten. Er war anfällig für Infektionen.«
Agnes blinzelte; sie stellte sich vor, wie schwer es für die Brüder gewesen sein musste, einander so nahe und doch getrennt zu sein.
»Ich wollte Knochenmark spenden; bei Brüdern funktioniert das manchmal ganz gut, weißt du. Doch dann wurde festgestellt, dass unsere Blutstammzellen nicht übereinstimmten. So habe ich erfahren, dass ich adoptiert wurde – weil meine Eltern lange Zeit kein Kind bekommen konnten.«
»Das wusstest du vorher nicht?«
Brendan schüttelte den Kopf. »Wir sind Iren. Das heißt, dass über viele Dinge nicht gesprochen wird.«
Agnes nickte. Das klang vertraut.
»Als Paddy nach der Chemo die Haare ausgingen, habe ich ihm eine Red-Sox-Kappe geschenkt. ›Hut‹, sagte er immer, denn er hatte gerade erst sprechen gelernt, und deutete lächelnd auf seine Baseballkappe. Er war sehr stolz darauf. Als er starb, begruben wir ihn damit.«
»Es tut mir so leid, dass er sterben musste.«
»Mir auch. Er war etwas ganz Besonderes.«
»Und der Grund dafür, dass du beschlossen hast, Arzt zu werden. Um anderen Kindern zu helfen.«
»Das hoffe ich zumindest.«
»Deine Eltern müssen sehr stolz auf dich sein.«
Er schüttelte den Kopf. »Sie wissen nichts davon.«
»Was heißt das?«
Brendan
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