Wie Sand in meinen Händen
sich ihr eigenes Grab schaufeln.«
»Was habe ich zu dir gesagt?«, flüsterte Agnes. »In der Notaufnahme?«
Sein Arm umfing sie, beschützend und sanft.
»Du hast mir anvertraut, dass du um eine Vision betest. Die dir sagt, was du tun sollst. Dass du diesen Wunsch nach einer himmlischen Erscheinung seit dem zwölften Lebensjahr hast, seit dein Vater ins Gefängnis musste. Und du hast mich gebeten, dir zu helfen.«
»Zu helfen? Wobei?«
»Deine Familie wieder zusammenzubringen.«
[home]
13. Kapitel
M om, können wir Dad zum Abendessen einladen?«, fragte Regis und sah ihre Mutter eindringlich an.
Honor reagierte nicht; sie stand am Spülbecken und wusch Tomaten aus dem Klostergarten. Sie hielt jede einzeln unter den Kaltwasserstrahl und legte sie zum Abtropfen auf ein zusammengefaltetes Papiertuch. Ihr Blick flackerte, sie sah zum Fenster hinaus. Eine einzige kleine Frage, und schon geriet ihre Mutter aus dem Konzept.
»Mom?«
»Heute nicht, Regis.«
»Warum nicht? Das ist doch kein großer Aufwand, er wohnt ja am Strand, direkt vor unserer Nase.«
»Das ist eine komplizierte Geschichte.«
Regis starrte sie an. Die Hände ihrer Mutter zitterten, als sie sich die nächste Tomate vornahm. Das sah Regis selbst aus der Entfernung über die Frühstückstheke hinweg. Es dauerte, bis sie die Tomate fest im Griff hatte, unter Wasser hielt und auf das Papiertuch legte.
»Ich bin zwanzig, Mom. Ich stehe kurz vor der Hochzeit. Ich denke, dass ich die Wahrheit verkraften kann.«
Nun kam das Basilikum an die Reihe. Ein dickes Büschel, leuchtend grün, mit dem scharfen Geruch von Lakritze. Eine Novizin hatte es am Morgen gebracht – aus dem klostereigenen Garten – zusammen mit den Tomaten und einigen Zucchini. Regis hatte die Tür geöffnet. Die junge Nonne war nicht viel älter als sie, falls überhaupt. Ihre Haare waren unter einem weißen Schleier verborgen.
»Mom?«, hakte Regis nun nach.
»Ich möchte euch Mädchen nicht mit meinen Problemen belasten. Und dieses Problem ist schwer.«
»Dass Dad nach Hause gekommen ist, soll
schwer
sein?«
»Nicht in diesem sarkastischen Ton, Regis Maria.«
»Tut mir leid.« Regis atmete tief durch.
Es dauerte ihr alles viel zu lange: dass sich ihre Eltern versöhnten und wieder glücklich miteinander waren. Dass Agnes wieder gesund war, dass ihr Hochzeitstag nahte. Das Leben sollte wieder harmonisch verlaufen, so, wie es sich gehörte. Der Alptraum der vergangenen sechs Jahre war schließlich vorüber, oder? Sie dachte daran, wie ungerecht das Leben doch war, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Nicht doch, Schatz«, sagte Honor, als sie sah, dass ihre Tochter den Tränen nahe war. »Es tut mir leid. Ich weiß, wie schwer es für dich ist. Aber es gibt ein paar Dinge, die dein Vater und ich klären müssen.«
»Das versuchst du ja nicht einmal.«
»Wie kommst du denn auf die Idee? Ich gebe mir die größte Mühe, wir beide tun das. Wir haben miteinander geredet.«
»
Gebrüllt,
meinst du wohl. Das war nicht zu überhören. Der Wind hat eure Stimmen von einem Ende des Strandes bis zum anderen getragen.«
»Tatsächlich?«, fragte Honor erschrocken.
Regis nickte. Wütend wischte sie sich die Tränen ab. »Du scheinst nicht einmal zu merken, was los ist.«
»Was soll denn das heißen?«
»Mom, du warst seit sechs Jahren nicht mehr so glücklich wie jetzt. Du bist die ganze Zeit im Atelier und malst wie eine Besessene. Abends hörst du dort Musik, worüber wir uns sehr freuen. Und deine Bilder sind
phantastisch.«
»Findest du?« Ihre Mutter runzelte die Stirn.
»Ja! Du bist wie verwandelt seit Dads Rückkehr.«
Honor starrte die Tomaten und das Basilikum an.
Dann, zu Regis’ Überraschung, begann sie zu reden. Sie sprach ganz offen.
»Regis, dein Vater und ich haben uns ineinander verliebt, als wir noch sehr jung waren«, sagte sie. »Er war ungeheuer kreativ, lebenshungrig. Ich hatte noch nie einen Künstler wie ihn kennengelernt.« Sie hielt inne, suchte nach den richtigen Worten. »Er stürzte sich blindlings ins Leben und riss mich mit. Er brachte seine Kunst in unsere Ehe ein, und alles, selbst ein Spaziergang auf die andere Seite des Hügels, wurde zum Abenteuer.«
»Typisch Dad«, murmelte Regis und dachte daran, wie kalt und langweilig die Welt ohne ihn erschienen war.
»Aber das hat mich im Laufe der Zeit zermürbt«, gestand Honor. »Ich machte mir fortwährend Sorgen um ihn. Es war wie ein Spaziergang auf dünnem Eis. Ich wusste
Weitere Kostenlose Bücher