Wie Sand in meinen Händen
sind. Sie meinen, wir sollten warten.«
»Deine Eltern sind heute noch glücklich miteinander. Und für beide war es die erste große Liebe.«
»Ja, aber sie erzählen mir immer wieder, dass sie erst geheiratet haben, als mein Vater mit dem Jurastudium fertig war.« Er hielt sie in den Armen und streichelte mechanisch ihren Rücken, schien aufgebracht zu sein.
»Das war reine Zeitverschwendung, findest du nicht? Sie haben jahrelang die Möglichkeit verpasst, zusammen zu sein.«
»Zeitverschwendung würde ich das nicht nennen; beide haben ihr Studium ernst genommen, Vorlesungen und Kurse besucht.«
»Wir werden unser Studium ebenfalls ernst nehmen und Vorlesungen und Kurse besuchen.« Sie küsste ihn, dann legte sie den Kopf in den Nacken, damit er ihr in die Augen schauen konnte. »Aber danach sind wir zusammen. Wir werden gemeinsam zu Abend essen, frühstücken und die ganze Nacht miteinander verbringen.«
»Wir könnten aber auch warten. Noch drei Jahre, bis wir mit dem College fertig sind.«
»Drei Jahre!«, sagte Regis betroffen.
»Ich meine nicht, dass wir das tun sollten, sondern sage nur, was meine Eltern davon halten«, beeilte er sich hinzuzufügen. »Du weißt, sie werden uns finanziell unter die Arme greifen und so, aber sie wollen wissen, wie das Ganze in der Praxis funktionieren soll. Versicherung, Auto, solche Dinge eben.«
Sie schüttelte den Kopf, abermals den Tränen nahe. Sie schloss die Augen, um nicht zu weinen. Wen kümmerten solche Nebensächlichkeiten? Wusste Peter nicht, dass man verlorene Zeit nie mehr wettmachen konnte? Drei Jahre, das war die Hälfte von sechs Jahren; jeder Tag, jede Minute im Leben war einmalig und unersetzlich.
»Wenn man sich liebt, ist es ganz natürlich, dass man so oft wie möglich zusammen sein möchte«, entgegnete sie mit geschlossenen Augen, erkannte kaum ihre eigene Stimme. »Wenn der Wunsch groß genug ist, findet sich ein Weg, die praktischen Dinge zu regeln.«
»Regis …«
»Versicherung, Autos. Wer interessiert sich schon dafür? Liebe verleiht der Welt Farbe; wenn man jemanden verliert, den man liebt, merkt man, wie trist die Welt sein kann, nur noch schwarz und weiß.«
Peter berührte ihre Wange und küsste sie, und sie vergaßen die Welt ringsum.
»Wir könnten das Gleiche am Little Beach haben«, schlug er nach einer Weile vor, als sie sich voneinander lösten. »Es wäre viel einfacher, dorthin zu gelangen. Und würde genauso viel Farbe in unser Leben bringen.«
»Aber dieser Ort hat mehr Magie. Und ist nur wenigen bekannt – vergiss nicht die herrliche Aussicht.« Sie deutete auf die Wipfel der Bäume, hinter denen der Sund zu erkennen war, von Licht übergossen und in Blautönen jeglicher Schattierung – Azurblau, Graublau, Türkis, Marineblau, Kobalt. Das Sonnenlicht funkelte auf der Oberfläche des Wassers und weiße Vögel, Seemöwen und Meerschwalben zogen ihre bedächtigen Kreise am wolkenlosen Himmel.
»Es ist nur … warum muss bei dir immer alles auf eine Feuerprobe hinauslaufen?«
»Feuerprobe?«
»Auf den Schienen entlangspazieren. Die Brücke über den Devil’s Hole überqueren. Es gibt in Hubbard’s Point jede Menge Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Am Little Beach, in der Marsch, sogar auf dem Friedhof. Aber du musst dir immer das Gefährlichste aussuchen.«
Regis kniff die Augen zusammen.
Dünnes Eis,
hatte ihre Mutter gesagt. Doch warum konnte Peter den Reiz und die Magie solcher Abenteuer nicht spüren, wie an jenem Tag im Regen?
»Liegt es an deinem Vater?«, fuhr Peter fort. »Weil du mit ihm hier warst? Warum möchtest du unbedingt so sein wie er?«
»Das
möchte
ich nicht«, flüsterte Regis. »Das
bin
ich.«
Regis schloss die Augen. Peter hatte recht: Ohne ihren Vater hätte sie vermutlich nie erfahren, dass es diese Höhle überhaupt gab. Er hatte sie entdeckt, als er auf die Klippe gestiegen war, um eine seiner Skulpturen aus Holz und Stein zu errichten.
»Lass mich mitkommen, Daddy«, hatte sie gebettelt. Ihre Mutter und Agnes hatten unten am Strand gesessen; er hatte seine Kamera über die Schulter gehängt und Anstalten gemacht, alles, was er für seine Arbeit benötigte, über die steilen Fußwege und die Brücke zu tragen. »Du brauchst meine Hilfe, um die Burg zu bauen.«
»Ich weiß, und ich würde dich gerne mitnehmen«, hatte er erwidert. »Mit deiner Hilfe entstehen die schönsten Kunstwerke der Welt. Aber erinnerst du dich, was ich über Kinder gesagt habe, die auf
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