Wie Sand in meinen Händen
Eltern zusammen, alles war einfach ganz normal.
Regis’ Mund war trocken. Wo auch immer, sie kam sich überall wie eine Außenseiterin vor. Zu Hause bei ihrer Mutter und hier, auf Hubbard’s Point. Honor war an diesem Strand aufgewachsen, in einer Umgebung, die Sicherheit und Geborgenheit ausstrahlte. Vielleicht hätte ihre Mutter diese Welt nie verlassen sollen, wenn es das war, was sie sich am meisten wünschte.
Die Jugendlichen hier erlebten alles zusammen, den ersten Kuss eingeschlossen. Regis wusste, dass Peter vor ihr Freundinnen gehabt hatte. Im Sommer vor zwei Jahren zum Beispiel, ein Mädchen, mit dem er Liebesbriefe ausgetauscht hatte. Sie lebte in New York; Regis hatte unlängst erfahren, dass Alicia mit ihr befreundet war. Regis kam sie unvorstellbar welterfahren vor: Sie besuchte die gleiche Schule wie einige bekannte Nachwuchsschauspieler und war sogar einmal mit Josh Hartnett Motorrad gefahren. Ihr Vater, ein Chirurg, hatte viele Prominente operiert und mit dem Baseballstar Derek Jeter Golf gespielt.
Wenn sich Regis an einem Tiefpunkt befand, sann sie darüber nach, warum sich Peter ausgerechnet für sie entschieden hatte, nachdem er mit diesem Mädchen aus New York zusammen gewesen war. Auf ihre Frage hin hatte er sie angesehen, als sei sie schwer von Begriff. »Weil ich dich liebe«, hatte er gesagt. »Du bist anders als alle Mädchen, die ich kenne.«
Ihr Magen verkrampfte sich. Hatte ihre Mutter sich aus dem gleichen Grund für ihren Vater entschieden? Weil er anders war? Regis wusste, dass ihr Vater und sie sich in vieler Hinsicht ähnelten – sie gingen beide gern auf dünnem Eis, wie ihre Mutter gesagt hatte. Doch was war, wenn Peter dieser Lust am Abenteuer überdrüssig wurde? Wenn sie ihn zermürbte?
Doch dann dachte sie daran, wie viel Spaß es ihm gemacht hatte, bei strömendem Regen an den Strand zu laufen und mit voller Montur ins Wasser zu springen. Sie hatte ihm an den Augen abgelesen, dass sie der erste Mensch war, der Liebe und ungezügelte Lebensfreude in ihm weckte.
Seit sie sich kannten, war Regis mustergültig gewesen. Sie hatte sich am Riemen gerissen – Schluss mit dem Klippenspringen, Turmklettern und Schwimmen durch den Sund. Doch im Augenblick fühlte sie sich so eingeengt von dieser Selbstdisziplin, dass sie glaubte, platzen zu müssen.
Sie parkte am Bordstein und stieg aus. Aus dem geöffneten Fenster im ersten Stock dröhnte Musik, woraus sie schließen konnte, dass er zu Hause war; deshalb hob sie einen Stein auf und warf ihn hinauf.
Erst dann gewahrte sie Mrs. Healey, die Nachbarin, die auf der anderen Seite der Hecke stand und ihren Garten wässerte. Sie winkten sich zu, und Regis lächelte.
»Hallo«, sagte Regis.
»Er ist da.« Mrs. Healey deutete mit einem Kopfnicken auf sein Fenster.
»Ich dachte, ich dachte …« Regis errötete.
»Das sei romantischer.« Mrs. Healeys Lächeln wurde breiter, und man sah, dass sie Grübchen hatte.
Regis nickte, völlig perplex. Sie fragte sich, ob sie jemals wie Mrs. Healey sein würde: in einem türkisfarbenen Badeanzug unter dem T-Shirt ihres Mannes und mit Flip-Flops an den Füßen, goss sie ein rechteckiges Beet mit leuchtend rosa Petunien und sah aus, als wären ihr Seelenqualen völlig fremd. Waren Seelenqualen eine Spezialität der Familie Sullivan?
»Regis!« Peter trat aus der Hintertür.
Die Erleichterung, die sie bei seinem Anblick empfand, war so groß, dass sie beinahe in Tränen ausgebrochen wäre. Er war einen Meter fünfundachtzig groß, gebräunt, mit dunklen Haaren und nicht übertrieben muskulös. Er schloss sie in die Arme. Seine Lippen streiften ihre, und sie schmolz in seinen Armen dahin.
»Was ist passiert?«, fragte er. »Du zitterst ja.«
»Ich freue mich nur so, dich zu sehen.« Sie kämpfte gegen die Tränen. »Du glaubst nicht, was bei uns zu Hause los ist.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Kein Wunder, wenn man einen Sträfling zum Vater hat.«
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. Er hat es nicht so gemeint, sagte sie sich. Er würde seine Meinung ändern, sobald er ihren Vater kennenlernte – keiner von ihren Freunden kannte ihn, weil er am Strand lebte, im Exil.
»Wie war es gestern beim Angeln?«, fragte sie und bemühte sich, die Unterhaltung in unverfängliche Bahnen zu lenken.
»Klasse. Wir haben jede Menge Bier getrunken, viele Felsenbarsche gefangen und uns prächtig amüsiert.«
Sie ergriff seine Hand, sehnte sich nach Liebe und
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