Wie Tau Auf Meiner Haut
Gedanken beinahe lesen können. Sie war aus dem Ausland, und
sie war reich, also war sie irgend jemandem irgendwo in der Welt viel wert.
Vielleicht wollte er den Schwarzen Niall ja gar nicht als Geisel behalten, aber hier
war ihm durch einen glücklichen Zufall etwas in die Hände gefallen, das seine
Geldvorräte ein wenig aufstocken konnte.
Er klopfte auf ihre Tasche und sagte etwas. Grace erriet, dass er den sehen
wollte und öffnete sie gehorsam. Die Männer drängten sich neugierig dicht um
sie herum. Sie zog eines der mitgebrachten Bücher hervor und blätterte durch
die Seiten, um ihm Papier und Druck zu zeigen, dann legte sie es wieder in die
Tasche zurück.
Sie hoffte, dass es niemanden weiter interessieren würde, denn der Buchdruck
war noch nicht erfunden. Priester und Mönche pausten Manuskripte ab, der
Buchdruck aber würde erst in gut hundert Jahren erfunden werden.
Der Kerl aber interessierte sich überhaupt nicht für das Buch und winkte abfällig
mit der Hand. Sie zog den Samtmantel nur so weit heraus, dass er das Material
begutachten konnte. Er murmelte zufrieden und ließ in Erwartung späterer
Reichtümer grinsend seine dreckige Hand über das weiche Material gleiten. Dann
hielt sie ihm ein größeres Buch vor und hoffte, dass sie es ihm nicht würde
zeigen müssen, denn in diesem Buch waren Fotografien abgebildet. Grunzend
schüttelte er den Kopf, und sie steckte es in die Tasche zurück.
Sie hatte mehrere sorgfältig ausgewählte Bücher mitgenommen. Außerdem hatte
sie noch verschiedene Medikamente in ihrer Tasche, die sie ihm allerdings nicht
zeigen wollte. Sie hatte sie ohne Problem durch den Zoll bekommen, aber dieser
Kerl hier würde sie entweder aufessen oder aber sie im Dreck verteilen. Deshalb
zog sie noch ein weiteres Buch hervor. Er sah sie ungeduldig an. Vermutlich
wollte er etwas zu Gesicht bekommen, das er als wertvoll erkannte.
Sie zog den Schalstoff hervor. Wieder befühlte er das Material, dann legte er es
beiseite. Sie zog ein weiteres Buch hervor. Er sagte etwas Unflätiges, denn seine
Männer lachten. Sie zuckte mit den Schultern und zog noch eines hervor in der
Hoffnung, so die Schwere ihrer Tasche begründen zu können, sollte er sie noch
weiter untersuchen wollen.
Plötzlich entschied er sich, genau das zu tun, grabschte sich die Tasche und
versenkte seine Hand darin. Grace stockte der Atem. Die Tabletten hatte sie
sorgfältig in ein Taschentuch eingerollt, das sie wiederum in einem kleinen
Holzkästchen verwahrt hatte, damit sie nicht zerdrückt wurden. Das Kästchen
hatte sie in eine Innentasche eingenäht.
Er entdeckte weder die Innentasche noch das Kästchen. Seine Hände stießen
jedoch auf das Schweizer Offiziersmesser. Mit einem triumphierenden Lachen zog
er es hervor, runzelte bei seinem Anblick jedoch verwirrt die Stirn. Da all die
Klingen und kleineren Werkzeuge zusammengefaltet waren, machte es nicht viel
her. Das Messer wollte sie nicht verlieren. Wenn er jedoch erst einmal die
Klingen gesehen hatte, würde er es ihr sicher wegnehmen. Sie atmete tief ein
und streckte ihre Hand nach dem Messer aus.
Knurrend zog er es zurück. Grace setzte eine ungeduldige Miene auf. Sie band
sich den Schal vom Kopf und löste ihre Haare. Er war von der Masse braunen,
glänzenden Haars ganz gefangen. Wieder griff sie nach dem Messer, und diesmal
verwehrte er es ihr nicht. Sie umschloss es mit der Hand, so dass man die
Klingen nicht sehen konnte. Dann drehte sie sich zu ihm um und zeigte ihm eine
kleine Pinzette. Vorsichtig zog sie sie heraus. Er blinzelte verblüfft. Sie legte die
Pinzette auf ihre Handfläche, dann drehte sie ihr Haar in Windeseile um das
Messer zu einem länglichen Knoten. Als sie den Knoten in ihrem Nacken
gebunden hatte, steckte sie ihn mit der Pinzette fest und lächelte den Kerl breit
an.
Er blickte erst sie an, dann ihre Haare. Wieder musste er blinzeln. Offenbar
waren ihm weibliche Frisuren eine vollkommen unbegreifliche Sache, denn er
wandte sich wieder der Tasche zu.
Als nächstes zog er eine kleine Taschenlampe hervor.
Grace seufzte, zog die Pinzette aus dem Haar und wollte den Knoten schon
aufrollen, als er sie offenbar begriffen hatte und die Taschenlampe, ohne sie
weiter zu untersuchen, in die Tasche zurückwarf. Ein Brief Streichhölzer war
seiner Aufmerksamkeit entgangen, aber er war vermutlich in eines der Bücher
gerutscht.
Als nächstes fand er ein Paar Strümpfe, die zu einem Ball
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