Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wie Tau Auf Meiner Haut

Titel: Wie Tau Auf Meiner Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
Bibliothek sei, bezweifelte sie doch, dass die Männer
    annehmen konnten, sie sei nochmals in die Bibliothek zurückgegangen, um sich
    vor ihnen zu verstecken. Es war ja nicht einmal sicher, dass die Polizei zu diesem
    Zeitpunkt überhaupt schon von dem Doppelmord wusste. Parrish konnte keine
    Anzeige erstatten, ohne dass auch er verdächtigt wurde. Daran aber konnte ihm
    nicht gelegen sein. Die Nachbarn wiederum hatten nichts gehört, da die Pistolen
    mit Schalldämpfer ausgerüstet gewesen waren. Aber vermutlich war die Polizei
    doch schon unterrichtet. Parrish konnte nicht zulassen, dass Tage vergingen, ehe
    die Leichen - ihr Herz zog sich bei diesem Wort zusammen, aber sie zwang sich,
    den Gedanken fortzusetzen - entdeckt wurden. Konnten Polizei und
    Gerichtsmedizin bei der Spurensuche feststellen, ob Schalldämpfer benutzt

    worden waren? Wohl kaum. Parrish brauchte also nur von »verdächtigen
    Geräuschen wie Pistolenschüsse«, zu erzählen und ihre Adresse anzugeben. Die
    Spur des Anrufers würde sich nicht zurückverfolgen lassen.
    Demnach wurde sie also gesucht: von Parrish und seinen Helfershelfern und von
    der Polizei. Trotzdem hatte sie das Hauptgebäude der Bibliothek betreten. Der
    Instinkt hatte sie dorthin gelenkt. Starr vor Schock und Entsetzen wirkte die ihr
    vertraute Bibliothek wie ein schützender Hafen. Der Geruch der Bücher, diese
    eigenartige Mischung aus Papier, Leder und Druckerschwärze, gab dem Ort
    etwas Feierliches, Beruhigendes. Wie vor den Kopf geschlagen war sie zunächst
    zwischen den Regalen umhergeirrt und hatte sich die Bücher angesehen, die
    noch bis vor wenigen Stunden ihre ganze Welt gewesen waren. Sie hatte
    versucht, ein Gefühl der Sicherheit und der Normalität wiederzuerlangen.
    Vergeblich. Nichts würde jemals wieder so sein wie zuvor. Schließlich war sie in
    den Waschraum gegangen und hatte bestürzt ihr Gesicht im Spiegel betrachtet.
    Diese Frau mit dem kreidebleichen Gesicht und den hohlen Augen war nicht sie.
    Das konnte nicht Grace St. John sein, die ihr Leben in der akademischen Welt
    verbracht und es dem Entziffern und Übersetzen altertümlicher Dokumente
    gewidmet hatte. Die Grace St. John, die sie kannte und die sie unzählige Male in
    anderen Spiegeln gesehen hatte, hatte fröhliche blaue Augen und entspannte
    Gesichtszüge - die Züge einer Frau, die liebte und im Gegenzug geliebt wurde.
    Ja, sie war zufrieden gewesen, auch wenn sie vielleicht ein wenig zu füllig war,
    um ein Titelbild für ein Hochglanzmagazin abzugeben. Was machte das schon?
    Ford hatte sie geliebt, und das allein war es, was in ihrem Leben zählte. Doch
    Ford war jetzt tot.
    Das konnte nicht wahr sein. Das entsprach nicht der Wirklichkeit. Nichts von
    dem, was geschehen war, war tatsächlich geschehen. Wenn sie die Augen
    zumachte, würde sie vielleicht in ihrem Bett aufwachen und feststellen, dass alles
    nur ein böser Traum gewesen war oder dass sie einen Nervenzusammenbruch
    erlitten hatte. Das wäre ein guter Tausch, dachte sie und kniff ihre Lider
    zusammen. Jede Situation wäre besser als die, in der sie sich zur Zeit befand.
    Sie versuchte es. Sie presste die Augen zusammen und konzentrierte sich auf die
    Vorstellung eines Alptraums und darauf, dass sie aufwachen würde und alles
    wieder gut sein würde. Als sie jedoch die Augen wieder aufschlug, war alles noch
    genauso schrecklich wie zuvor. Noch immer starrte sie auf ihr trostloses, vom
    kalten Licht der Neonröhre erleuchtetes Gesicht, und Ford war immer noch tot.

    Ford und Bryant, Ehemann und Bruder. Die beiden einzigen Menschen auf der
    Welt, die sie liebte und von denen sie geliebt worden war. Sie waren beide fort,
    waren unwiderruflich und für immer gegangen. Keine Macht der Welt konnte sie
    wieder zurückbringen. Sie fühlte sich, als ob ihr Innerstes mit ihnen zusammen
    gestorben war. Sie empfand sich nur noch als eine leere Hülle und wunderte sich,
    wieso das Gerüst aus Fleisch und Knochen, das sie aus dem Spiegel anstarrte,
    nicht vor ihren Augen zusammenklappte.
    Doch als sie sich selbst in die Augen blickte, fand sie den Grund dafür, warum sie
    nicht zusammengebrochen war. Sie war nicht so leer, wie sie angenommen
    hatte. Da war noch etwas in ihr, etwas Wildes und Bodenloses: eine barbarisch
    rohe Verquickung aus Schrecken, Wut und Hass. Sie musste gegen Parrish
    kämpfen, koste es, was es wolle. Wenn Parrish oder die Polizei sie aufspürten,
    dann hätte Parrish das Spiel für sich gewonnen. Diese Vorstellung

Weitere Kostenlose Bücher