Wie Tau Auf Meiner Haut
und
zurückschaukelnd lachte sie so sehr, dass ihr die Tränen das Gesicht hinunter
rannen und sie nach Luft rang, als ob sie auch von dem Whiskey gekostet hätte.
Als sie wieder atmen konnte, hob sie erst die eine, dann die andere Schulter, um
sich an dem Hemd die Tränen abzuwischen. »Verdammt noch mal, Mädchen! «
prustete sie immer noch glucksend. »Zu dem Zeitpunkt hatten die Leute vor dir
vermutlich mehr Angst als vor dem verfluchten Typen! «
Überrascht blickte Grace auf. Die Möglichkeit schmeichelte ihr, und ihr Gesicht
erhellte sich. »Das habe ich also ganz prima hingekriegt, nicht war? «
»Prima daran ist, dass du lebendig davongekommen bist«, rügte Harmony trotz
des Lächelns auf ihrem Gesicht. »Mädchen, wenn du dich schon auf solche
Sachen einlässt, dann muss dir mal jemand beibringen, wie man sich richtig
wehrt. Ich würde es dir gerne zeigen, aber ich habe keine Zeit. Ich mache dir
aber den Vorschlag, dich einem Bekannten vorzustellen. Er ist der fieseste,
mieseste Typ auf Gottes Erdboden. Er wird dir beibringen, mit unfairen Mitteln zu
kämpfen, denn genau das ist es, was du lernen musst. Jemand von deiner Größe
muss nicht so blöd sein und fair kämpfen. «
Unter Umständen war es dem Whiskey zuzuschreiben, jedenfalls gefiel Grace der
Vorschlag. »Nie wieder fair kämpfen«, pflichtete sie bei. Parrish kämpfte ganz
sicher nicht mit fairen Mitteln, und auch die Straßengangs, mit denen sie es zu
tun haben würde, hielten nichts von Fairness. Mit welchen Mitteln auch immer,
sie musste lernen zu überleben.
Harmony öffnete einen Desinfektionswattetupfer und säuberte vorsichtig Graces
Wunde. Danach begutachtete sie die Wunde aus verschiedenen Blickwinkeln.
»Nicht allzu tief«, schloss sie befriedigt. Sie öffnete eine kleine braune Flasche
Desinfektionsmittel und goss es direkt auf die Wunde. Grace hielt den Atem an,
da sie ein ebenso heftiges Feuer erwartete wie bei dem Whiskey. Es brannte
jedoch nur ein klein wenig. Harmony nahm die Sprühdose und sprühte damit
einen kalten Nebel über die Wunde. »Örtliche Betäubung«, murmelte sie. Das
medizinische Fachvokabular fügte sich nahtlos in ihren Umgangsjargon ein.
Grace hätte es nicht weiter überrascht, wenn ihre Vermieterin Shakespeare
zitiert oder lateinische Verben konjugiert hätte. Wer immer auch Harmony in der
Vergangenheit oder in der Gegenwart war, sie war außergewöhnlich.
Gelassen beobachtete Grace, wie Harmony einen Faden durch eine gebogene
Nadel zog und sich über ihren Arm beugte. Harmony presste mit ihrer linken
Hand die Wunde zusammen und begann mit der rechten zu nähen. Jeder Stich
brannte, aber der Schmerz war dank des Whiskeys und des Betäubungssprays
erträglich. Graces Augen fielen vor Müdigkeit fast zu. Sie hatte keinen
sehnlicheren Wunsch, als sich hinzulegen und zu schlafen.
»Fertig«, verkündete Harmony und zog den letzten Faden zusammen. »Halte es
gut trocken, und nimm ein Aspirin, falls du Schmerzen haben solltest. «
Grace betrachtete die ordentlichen Stiche und zählte zehn Stück. »Du hättest
Ärztin werden sollen. «
»Ich habe nicht die Geduld, mich mit irgendwelchen Idioten abzugeben. « Sie
packte ihren Erste-Hilfe-Kasten zusammen, dann warf sie Grace von der Seite
einen Blick zu. »Willst du mir nicht sagen, warum du nichts mit der Polizei zu tun
haben willst? Hast du vielleicht jemanden umgelegt? «
»Nein«, erwiderte Grace und schüttelte den Kopf. Das war ein Fehler. Sie wartete
einen Augenblick, bis ihr nicht mehr schwindelig war. »Nein, ich habe niemanden
umgebracht. «
»Aber du bist auf der Flucht. «
Es war eine Feststellung, keine Frage. Sie zu widerlegen wäre reine
Zeitverschwendung gewesen. Andere Leute hätte man vielleicht belügen können,
aber Harmony besaß eine zu gute Menschenkenntnis. Sie kannte zu viele Leute,
die vor dem Gesetz oder vor ihrer Vergangenheit oder vor sich selbst
wegrannten. »Ich bin tatsächlich auf der Flucht«, gestand Grace ein. »Und wenn
sie mich finden, dann werden sie mich umbringen. «
»Wer sind denn >sie «
Grace zögerte, denn noch nicht einmal ein starker Whiskey konnte ihre Zunge so
weit lösen. »Je weniger du davon weißt, um so besser«, meinte sie schließlich.
»Wenn dich jemand fragen sollte, dann weißt du einfach nicht viel über mich. Du
hast niemals einen Computer gesehen, und dir ist auch nicht aufgefallen, dass
ich an etwas arbeite. Abgemacht? «
Harmonys Augen
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