Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
im Leben hatte ich mich so lächerlich aufgeführt.
Ich überlegte ernsthaft, Ty anzurufen und mich zu entschuldigen, beschloss dann aber, das Ganze lieber nicht zu sehr aufzubauschen. Hoffentlich erinnerte er sich nicht mehr an all den Mist, den ich von mir gegeben hatte.
Offensichtlich setzte mein Verstand aus, wenn ich mich in Bars mit zu viel Alkohol und Groupies herumtrieb. Ty und ich – nun ja, ich mochte ihn zwar, aber wir hatten wirklich sehr wenig gemeinsam, das als Fundament für unsere Freundschaft hätte dienen können. Es war, als seien wir nicht mal von derselben Gattung. Im Tierreich wäre er ein Löwe und ich – ich weiß nicht – eine Ente.
Gottseidank fuhr Steven an diesem Nachmittag, so dass ich zuerst versuchte, ein bisschen zu dösen, dann aber die meiste Zeit damit verbrachte, angestrengt darüber nachzudenken, wie ich mich langsam und vorsichtig aus dieser heiklen Freundschaft zurückziehen konnte. Als wir uns dem Haus meiner Mutter in New Jersey näherten, konnte ich die Erinnerung an letzte Nacht und an Ty jedoch immer weiter verdrängen.
Obwohl mich meine Mutter die meiste Zeit in den Wahnsinn trieb, hob sich meine Laune bei dem Gedanken an das Weihnachtsfest bei ihr. Julia bewohnt ein Haus mit fünf Schlafzimmern in der Nähe von Princeton. Außerdem hat es ein riesiges gemütliches Wohnzimmer mit einem Bruchsteinkamin und einem riesigen Flachbildfernseher. Eine Feinschmeckerküche mit Granitarbeitsplatte und Elektrogeräten aus rostfreiem Stahl. Eine Schlafzimmersuite mit offenem Kamin und Whirlpool-Badewanne. Einen Swimmingpool. Wie offensichtlich sie doch unsere Zeit in der verwanzten Bruchbude überkompensierte.
Julia stellt jedes Jahr vier Weihnachtsbäume auf. Einen weißen Baum mit blauen Lichtern und blauem Schmuck, der ganz hübsch aussieht. Dann den Santa-Schmuck-Baum, überladen mit Multikulti-Weihnachtsdeko: der heilige Nikolaus, Sinterklaas, Père Noël, Babbo Natale, Hoteiosho und Kaledu Senelis, Knecht Rupprecht. Daneben gibt es den Plastikobstbaum, der etwa 1989 auftauchte. Er besteht lediglich aus Zweigen mit einer Menge künstlicher Bananen und Ananas daran und einem Carmen-Miranda-Engel auf der Spitze. Diesen sollte sie endlich mal ausrangieren, das habe ich ihr schon oft gesagt. Ich glaube, sie war depressiv, als sie damit ankam. Der schönste Baum in jedem Jahr ist jedoch eine echte Douglas-Tanne, die Julia mit Glaseiszapfen, Schneekristallen und ungefähr fünfzig Arten von Vögeln schmückt. Die Vögel sind wirklich schön, sie haben echte Federn.
Ich will damit sagen, dass sie zwar ständig bemüht ist, mich vor allerlei Unheil zu warnen, in Wahrheit aber eine verkappte Optimistin ist. Das erkenne ich daran, wie ausgiebig sie Weihnachten zelebriert. Würde eine Frau mit Edvard-Munch-Gemütsverfassung, die keine kleinen Kinder, keine Enkel, ja, nicht einmal einen Sohn hat, eine elektrische Eisenbahn in der Diele ihrer Luxus-Villa herumrattern lassen?
Sie kam an die Tür und begrüßte uns mit Umarmungen und Eierpunsch.
»Deiner ist ohne Whiskey!«, verkündete sie Steven. Sie hatte offenbar schon ein paar Drinks intus.
»Danke, Julia«, sagte er und zwinkerte mir über ihre Schulter hinweg zu.
Ein großer, muskulöser Mann stand auf, als wir das Wohnzimmer betraten. Er trug Jeans, Sweatshirt und einem Revolver in einem Holster.
»José, das sind meine Tochter Grace und ihr Freund Steven.«
Wir reichten uns die Hände. José sah phantastisch aus, und die rasierte Glatze passte zu ihm. Ich sah meine Mutter an und lächelte.
»José isst heute mit uns zu Abend.«
»Aber erst muss ich noch für eine Weile zurück zur Arbeit«, sagte er. Er hatte eine sehr tiefe Stimme.
»José arbeitet als Spezialermittler bei Brandfällen«, erklärte Julia.
»Das klingt aber interessant«, sagte Steven.
José lächelte. »Ja, da gibt es einiges zu erzählen.«
Während meine Mutter und ich in der Küche Käse in Scheiben schnitten, Shrimps auftauten und Spinat und Wasserkastanien für den Dip zerkleinerten, hörten wir, wie sich Steven und José im Wohnzimmer über Brandmuster, Gaschromatographie, Brandbeschleuniger und Versicherungsbetrug unterhielten.
»Es ist ganz und gar ungehörig«, sagte Julia. »Wir arbeiten in einigen Fällen zusammen.«
»Schon, aber man braucht ihn sich ja nur anzusehen.«
Sie grinste. »Ist er nicht umwerfend? Er ist erst fünfunddreißig. Findest du das schockierend?«
»Nein, ganz wunderbar.«
Sie winkte ab. »Ich hab ja nur
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