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Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)

Titel: Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shelle Sumners
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mir ein Foto von dir gezeigt.«
    »Oh«, sagte ich. Intelligentes, einigermaßen beredtes Mädchen macht sich zur Idiotin.
    Ich trat aus dem Aufzug. Blinkende weiße Lichter zogen sich kreuz und quer über die Decke. Vielleicht gab er später noch eine Party.
    »Dan?«, rief ich.
    »Grace?« Von oben ertönte ein lautes Krachen und Klirren von zersplitterndem Glas. Ich rannte die eiserne Wendeltreppe hinauf, die mitten im Raum aufragte.
    Grinsend stand er auf dem farbbespritzten Fußboden in seinem Atelier. Mein Dad ist klein. Größer als ich, aber kleiner als meine Mom. Er hat zerzauste, silbergraue Haare und ein – für einen Mann um die sechzig – irritierend jugendliches Gesicht.
    »Geht es dir gut?«, fragte ich, sah nach, ob er verletzt war, und forschte dann nach der Ursache der Katastrophe.
    »Danke, bestens«, erwiderte er, und dann entdeckte ich die Fernbedienung in seiner Hand. Er betätigte einen Knopf, und diesmal wurden wir mit dem Kreischen von zerberstendem Metall beglückt. So musste es sich angehört haben, als die Titanic den Eisberg rammte. Ich hielt mir die Ohren zu, bis es vorbei war.
    Wieder drückte er auf einen Knopf und nun ertönten Grillen auf einer Sommerwiese in der Abenddämmerung.
    »Das gefällt mir am besten.«
    Er betätigte erneut die Fernbedienung. Seltsame, hohe, zittrige Laute, dann folgten tropfende, schmatzende, saugende Geräusche. »Das ist eine Elefantengeburt.«
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte ich höflich.
    »Nein, auf gar keinen Fall. Für die nächsten hundertachtzig Minuten gehörst du mir.«
    Dan steckte in den Vorbereitungen zu einer wichtigen Ausstellung in einer Kunstgalerie in Atlanta. Er zeigte mir die Gemälde, die zu den Soundeffekten gehörten. Bis vor kurzem hatte er in einer Phase des abstrakten Expressionismus gesteckt – klecksige, dornige, Was ist blutrot, schneeweiß und pechschwarz?- Werke. Seine neuen Bilder zeigten hingegen realistische Darstellungen nackter Puppenglieder. Beunruhigend. Sie erinnerten mich an ein gruseliges Beatles-Album, das ich einmal gesehen hatte.
    »Die Besucher betrachten also die Puppen, betätigen einen Knopf neben dem Gemälde und hören irgendwelche Geräusche im Kopfhörer?«
    »Genau. Vielleicht schöne, vielleicht auch nicht.« Er grinste diabolisch.
    »Dan? Was soll das eigentlich bedeuten?«
    »Mein Schatz, wie kommst du nur auf die Idee, ich würde dir diese Frage jemals beantworten?«
    »Ich glaube, du weißt es selbst nicht.« Als ob ich ihn dadurch dazu bewegen könnte, mir mehr zu verraten.
    Er lachte. »Kann schon sein.«
    Wir gingen hinunter, und er brühte uns eine Tasse Tee auf. Dann setzten wir uns auf eines der Sofas und überreichten uns unsere Weihnachtsgeschenke. Von mir bekam er mehrere Calvin-Klein-T-Shirts. Etwas anderes trug er nicht, dazu Khakihosen. Er schenkte mir einen schicken, schwarzen Ledermantel mit Gürtel, als Ersatz für meine abgetragene alte Lammfelljacke, und dazu einen überaus großzügigen Geschenkgutschein für die Buchhandlung Shakespeare & Co . Es war rührend, wie er darauf achtete, was ich brauchte und mochte. Mir wurde es fast zu viel.
    »Danke, Dan«, sagte ich und unterdrückte meine widerstreitenden Gefühle. »Davon kann ich wirklich eine Menge Bücher kaufen.«
    »Was hast du denn?«, fragte er. »Du liest doch noch so gerne wie früher, oder?«
    »Ja, natürlich!«
    Er sah mich mit seinem Röntgenblick an. Ich stand auf, wanderte im Raum umher und betrachtete die funkelnden Lichterketten.
    »Gibst du heute Abend eine Party?«
    Er folgte meinem ausgestreckten Arm. »Ach so, nein, die hängen jetzt immer da.«
    »Sieht wunderschön aus.«
    »Was habt ihr zwei noch vor heute Abend? Eine Party?«
    »Nein, wir schauen uns nur die Silvesterparty im Fernsehen an.«
    »Fahr bitte nicht mit der U-Bahn nach Hause. Ich rufe dir später ein Taxi.«
    »Ich glaube nicht, dass jetzt schon so viel los ist. Es ist ja erst neun Uhr.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nimm trotzdem nicht die U-Bahn.«
    Super. Also würde heute Abend irgendwo in der U-Bahn etwas passieren. Hoffentlich blieb nur ein Zug liegen. Mein Vater hatte das zweite Gesicht. Er sah voraus, was mit mir geschehen würde. Er behauptet, er würde immer spüren, was mit mir geschähe, würde mir aber nur die starken, wichtigen Ahnungen mitteilen.
    Als ich einmal mit dreizehn einen Monat der Sommerferien bei ihm verbrachte, fand ich eines Tages bei der Rückkehr vom Rollschuhlaufen eine Packung Binden auf meinem Bett.

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