Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
an der Bar einen Kaffee holen.
»Armer Kerl«, flüsterte Jody mir zu.
»Hey«, hörte ich Steven leise zu Nico sagen, während er sein Hemd abtupfte. »Alles wird gut, glaub mir. Weißt du noch, wie ich drauf war, nachdem Katie mich verlassen hatte? Ich dachte, mein Leben wäre vorbei. Ich habe es morgens kaum geschafft, aufzustehen, außer, um zu trinken.«
»Ich weiß, Mann«, erwiderte Nico. »Ich bin jetzt auch betrunken!«
»Ron holt dir gerade einen Kaffee.« Steven drückte seine Schulter. »Nicht aufgeben. Schau mich an. Schau dir das entzückende Wesen an, mit dem ich gleich nach Hause gehen werde.«
Nico stierte mich über den Tisch hinweg an. »Ja, wirklich entzückend.« Betrunken hob er die Faust als Geste der Anerkennung für mich. »Ich wünsche mir, eines Tages eine Frau wie dich kennenzulernen, Gracie.«
»Danke, Nico.«
Mir wurde klar, dass ich Steven noch gar nicht gesagt hatte, dass ich nicht sofort mit ihm nach Hause gehen würde. Vielleicht sollte ich lieber noch ein bisschen warten.
»Du hast was verpasst«, flüsterte Peg mir ins Ohr. »Ty hat Take Me to the River gespielt. Es war unglaublich! Eine ganz neue Interpretation.«
Jetzt sang er einen klassischen Blues, und er wirkte so in sich gekehrt, so konzentriert, dass er mich an Ray Charles erinnerte. Als sei er in einem kleinen, persönlichen Universum eingeschlossen, in dem nur Musik und Gefühle existierten und er nichts mehr zu sehen brauchte.
In der Pause beobachtete ich, wie sich Ty durch die Menge lavierte. Es schien, als wolle jeder mit ihm reden, ihn berühren. Er sah mich, kam zu uns herüber, und ich gab ihm sein Weihnachtsgeschenk. Er öffnete die Tüte und durchwühlte meine sorgfältige Verpackung aus Seidenpapier, bis er den rost-, creme- und karamellfarbenen Alpakaschal fand, den ich in einem Wollgeschäft in Soho für ihn erstanden hatte. Die Farbtöne passten exakt zu ihm.
»Hey, jetzt habe ich zwei Schals!« Er zeigte quer durch den Raum auf ein dünnes, blondes Streetteammädchen mit großem Busen. »Keely hat mir einen roten gestrickt. Aber der hier ist viel schöner. Ist er auch selbstgestrickt?«
»Ähm, ehrlich gesagt nicht.«
Er wickelte ihn sich um den Hals und umarmte mich. »Er ist wunderschön. Ich habe leider nichts für dich außer einen Song.«
»Ein schönes Geschenk!« Dabei überreichte ich ihm gleich meine Liste.
Schweigend las er sie. »Mensch, Mädchen, du hast einen verdammt guten Musikgeschmack.« Dann zog er eine Augenbraue hoch. »Aber wer ist Kate Bush?«
»Machst du Witze?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht so einfach erklären.« Vielleicht musste ich doch noch einmal wiederkommen und ihm eine CD von ihr mitbringen.
»Übrigens habe ich angefangen, dein Buch zu lesen.«
»Und, wie findest du es?« Ich war ehrlich überrascht.
»Ziemlich gut, bis jetzt. Ich bin gerade da, wo Atticus den Hund erschießt. Wahnsinn! Er erinnert mich an meinen Dad, wenn wir zusammen auf die Jagd gehen.«
»Auf die Jagd?«
»Ja, er ist ein hervorragender Schütze.«
»Ihr … ihr schießt Tiere tot?«
»Ja, ich habe sogar einmal einen Elfender erlegt.«
»Einen Hirsch?«
Er lächelte. »Ja. Wir haben ihn gegessen.«
Ich war zu schockiert für jeden weiteren Kommentar. »Aha. Lies das Buch weiter und erzähl mir, was du davon hältst.«
»Mache ich. Ach, ist der schön, Grace. Vielen Dank.« Er faltete den Schal sorgfältiger zusammen, als er ihn herausgezogen hatte, und steckte ihn wieder in die Tüte. »Was machst du an Weihnachten?«
»Wir verbringen die Feiertage bei meiner Mutter in New Jersey. Und du?«
»Ich und Bogue fahren nach Hause. Entschuldigung. Bogue und ich.«
Ich lächelte anerkennend. »Habt ihr ein Auto?«
»Bogue hat eines. Er hat bis jetzt auch erst zehn Strafzettel für Falschparken bekommen.«
In unserer Nähe brachen einige Gäste in lautes Lachen aus, deshalb neigte er sich näher zu mir. »Ich spiele jetzt dein Lied für dich. Ich hoffe, ich vermassele es nicht.«
»Danke, Ty.« Ich tätschelte seinen Arm. »Mach dir keinen Stress.«
»Fröhliche Weihnachten, Grace.« Er war so ernst, so ehrlich. »Ich danke dir, dass du mir so sehr geholfen hast, obwohl du mich nicht mal richtig gekannt hast. Ich wünschte, hier würde jetzt irgendwo ein Mistelzweig hängen.«
Ich lachte und schob ihn in Richtung Bühne.
Ob Eric Clapton wohl ahnte, dass es möglich ist, eine sanfte, fesselnde Version des Bell Bottom Blues auf dem Klavier zu spielen und damit
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