Wie Tyler Wilkie mein Leben auf den Kopf stellt und was ich dagegen tun werde: Roman (German Edition)
musterte mich forschend. So unauffällig wie möglich drängte ich mich näher an Ty.
Er lachte, streckte die Hand aus und zog die Frau unsanft an den Haaren. »Lass das, Beck!«
Sie lächelte. Das Lächeln! Bei einer Frau! Plötzlich war sie schön und wesentlich weniger furchteinflößend. »Ich bin Rebecca. Der gute Zwilling.«
Als sie mir die Hand gab, wäre ich beinahe zusammengezuckt. Vielleicht war sie sich ihrer Kräfte nicht bewusst.
Sie legte Ty einen Arm um die Schultern. »Wie wär’s, wenn du ab und zu etwas von dir hören ließest?«
»Wie wär’s, wenn du dich mal melden würdest?«
»Ich bin nicht diejenige mit dem Megaplattenvertrag. Ich musste es von Mom erfahren.«
»Okay. Tut mir leid.«
»Du hattest anscheinend viel zu tun.« Sie schlug ihm grob auf den Rücken und zwinkerte mir zu.
»Wie läuft dein Studium?«
»Bestens.« Mit einem Blick auf mich fragte sie: »Und was machst du, Grace?«
»Ich bin Lektorin.«
»Du lektorierst Bücher?«
»Ja, Schulbücher und Lehrmaterial.«
»Kein Scheiß.« Lächelnd sah sie Ty an. Ich erkannte, dass ihr ein kleines Stück von einem Schneidezahn fehlte, was sie nur umso interessanter machte.
Sie schaute mich an. »Hast du unsere Großmutter schon kennengelernt?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Na, dann mach dich auf etwas gefasst.«
»Beck!«, mahnte Ty.
»Also wirklich! Warum musstest du die Arme unbedingt zu dieser Feier mitschleppen?«
»Sie wird das schon verkraften.«
Ich sah Ty an. Was sollte ich verkraften?
Tys wundervoller Gladiolenstrauß zierte einen Tisch unmittelbar vor dem gedämpft beleuchteten Partyraum.
Jean kam zu unserer Begrüßung heraus. In ihrem geblümten Rock und dem graugrünen Twinset, der zu ihren Augen passte, sah sie fast vornehm aus. »Grace, du bist so hübsch! Dieses Blau ist deine Farbe.«
»Danke.«
»Gram brennt darauf, dich kennenzulernen.«
Ty blickte sich um. »Wo ist Dad?«
Jean zeigt mit einem Wink in Richtung des halbdunklen Raums jenseits der Lobby. »An der Bar.«
»Können wir auch vorher etwas trinken?«, fragte Ty.
»Was soll das?«, fragte Rebecca. »Wenn ich nüchtern mit ihr reden kann, kannst du es auch.«
»Ach, seid nett zu Gram«, mahnte Jean. »Sie ist schon alt.«
Sie führte uns zu Gram, und während wir den Raum durchquerten, fiel mir ein, weshalb ich hier war und ich fasste Ty mit beiden Händen am Unterarm. Überrascht sah er auf mich herunter. Ich zog die Augenbrauen hoch. Weißt du noch?
Er lächelte.
Gram saß im Rollstuhl. Sie hatte runde Schultern, einen großen Busen, eine grobknochige Statur, leuchtend apricotfarbene Haare und eine Brille mit Gläsern wie Flaschenböden, die ihre blauen Augen vergrößerten. Sie sieht aus wie eine der Far Side -Figuren von Gary Larson.
»Mama, schau mal, wer hier ist!«, sagte Jean.
Ty beugte sich hinunter und küsste sie auf die Wange.
»Du lebst also noch«, stellte sie fest.
»Sieht so aus«, erwiderte er.
»Hast du deine Tonleitern geübt?«
»Ja, Gram. Ganz fleißig.«
Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. »Wer ist das?«
»Das ist Grace.« Er drückte mir beruhigend die Hand.
»Hallo, Mrs Sinclair«, sagte ich.
»Grace«, sagte sie. »Du bist hübsch, aber klein. Und klebst an meinem Enkel wie eine Seepocke.«
»Grace arbeitet in New York City als Lektorin, Gram.«
Sie sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Was zum Teufel soll das sein?«
»Sie schreibt Schulbücher.«
»Schulbücher!« Sie sah mich an. »Worüber?«
»Äh, gerade habe ich die Arbeit an einer Enzyklopädie beendet.«
»Eine Enzyklopädie!« O Mann, für eine alte Frau hatte sie wirklich eine barsche, laute Stimme.
»Ich habe dir und deiner Schwester doch mal diese Lexika gekauft«, fuhr die alte Dame vorwurfsvoll fort. »Hast du auch nur eines von ihnen jemals aufgeschlagen?«
»Natürlich.«
»Wann denn?«
Er dachte nach. »In der sechsten Klasse, als ich ein Referat über Kuba schreiben musste.«
Sie schnaubte. »Rausgeschmissenes Geld!«
»So, Mama«, sagte Jean, die Mitleid mit uns hatte. »Ty, geht euch doch schon mal etwas zu trinken holen. In etwa einer halben Stunde essen wir zu Abend.«
»Okay!« Ty zog mich in Richtung Bar. Ich schwitzte, und auch er sah ein wenig erschöpft aus.
»Entschuldige«, sagte er. »Sie ist todkrank und dadurch ein bisschen durcheinander und bissig.«
»Oh, das tut mir aber leid. Was hat sie denn? Krebs?«
»Ich weiß nicht«, sagte er und schüttelte grimmig den Kopf. »Irgendetwas, das
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