Wie Viel Bank Braucht der Mensch?
er investieren kann, gibt es auch mehr Wachstum, als es das ohne Finanzglobalisierung gegeben hätte. Selbstredend.
Wirklich? Die Empirie lässt auch hier zweifeln. In den USA sei das Bruttoinlandsprodukt seit Deregulierung der Finanzmärkte deutlich langsamer expandiert als davor, stellt Paul Krugman fest. Tatsächlich: In den knapp 30 Jahren von 1947 bis 1975 wuchs die US-Wirtschaftsleistung inflationsbereinigt um jährlich durchschnittlich 3,7 Prozent, in den 28 finanzliberalen Jahren bis 2008 waren es nur 2,9 Prozent. Kein Zeichen für eine Beschleunigung. Auch die deutsche Wirtschaft hatte ihre besten Zeiten vor und nicht nach Beginn der Bankensause – selbst wenn man den Nachholeffekt unmittelbar nach dem Krieg herausrechnet. »Die Jahre 1945 bis 1970 waren fast überall welche mit schnellem Wirtschaftswachstum, aber deutlich weniger Finanzintensität als die Jahre danach«, schreibt der Brite Adair Turner.
Jetzt könnte auch das Zufall sein. Wer weiß, ob die Wirtschaft in den USA und Deutschland ohne freie Bankenwelt nicht noch langsamer gewachsen wäre? Nur: Nach einer neueren Studie von Moritz Schularick und seinem US-Kollegen Alan Taylor gibt es dafür keine Anzeichen. Die Forscher werteten die Erfahrung etlicher Länder über 140 Jahre aus. Ergebnis: Die Marktliberalisierung führte dort, wo sie besonders konsequent angewandt wurde, zwar eindeutig zu beschleunigter Kreditvergabe, und die Banken konnten bei gegebener Ausstattung mehr Geld verleihen. Nur sei dies überhaupt nichtmit tendenziell höherem Wirtschaftswachstum in den betreffenden Ländern einhergegangen. Also eben doch kein Zufall, wenn das Wirtschaftswachstum in den USA und Deutschland just seit Anfang der 80er Jahre, als die Finanzglobalisierung startete, niedriger ausfällt als vorher.
Gegen eine auch nur ansatzweise wundersame Wirkung auf den Rest der Wirtschaft sprechen auch die Berechnungen des Wachstumspapstes unter den Ökonomen, auf die wir schon einmal gestoßen sind, als es um die New Economy ging. Nach Berechnungen von Robert Gordon hat der Produktivitätsfortschritt der US-Wirtschaft seit Anfang der 1970er Jahre historisch spürbar nachgelassen. Die Leistung je Arbeitskraft legte zwischen 1972 und 1996 um gerade noch jährlich knapp 1,4 Prozent zu – nach durchschnittlich 2,3 Prozent in den fast 100 Jahren von 1891 bis 1972. Zufall oder nicht: Die Ergebnisse wurden just seit dem Moment schlechter, seit mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems auch die Zeit kontrollierter Banken und Kapitalströme zu Ende ging.
Wie kann das sein, wo doch die Liberalisierung ganz neue Möglichkeiten für die Wirtschaft öffnen sollte?
Zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen kommt Bradford DeLong von der Berkeley University in Kalifornien. Von 1950 bis 2010 ist der Anteil der Finanzwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt in den USA von 2,8 auf 8,4 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass heute 5,6 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr für Bank- und Versicherungsgeschäfte ausgegeben werden, als es bei unverändertem Gewicht der Fall wäre. Das entspricht sage und schreibe 750 Milliarden Dollar, die diejenigen aus der Realwirtschaft im Grunde weniger haben, die dazu beitragen, unmittelbar sinnvolle Güter oder Dienstleistungen zu erzeugen. Wenn das fürs Land und die Wirtschaft lohnenswert sein solle, müsste die Finanzbranche auch Nutzen und Mehrwert in Höhe von mindestens 750 Milliarden Dollar für alle stiften, so DeLong. Oder Amerikas Wirtschaft müsste heute ganze sechs Prozent weniger produktiv sein, wenn die Finanzbranche noch ihren alten Anteil hätte.
Nicht wirklich plausibel. Und auch nicht erkennbar. Weder sei anzunehmen, dass nach all den Booms und Crashs die Risiken heutebesser zu managen seien. Noch sei erkennbar, welchen Nutzen es auf Dauer habe, wenn Verbraucher sich dank neuer Kreditmöglichkeiten überschuldeten. Schließlich hätten die neuen Technologien eher zu sinkenden Kosten als zu einem steigenden Anteil der Finanzbranche führen müssen, wie schon Philippon dargelegt hat. Da stimmt etwas nicht.
Eine historisch atemberaubende Negativbilanz
Versprochen hatten die Vordenker freier Finanzmärkte eine Menge. Umso ernüchternder wirkt, was herausgekommen ist. Weder für die Schwellenländer noch für die entwickelten reichen Volkswirtschaften gibt es Belege, dass die Finanzglobalisierung zu einem spürbaren wirtschaftlichen Mehrwert geführt hat. Schon das ist für dieses Großexperiment am lebenden Wirtschafts- und Finanzobjekt
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