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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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politisches Leben benötigt etwas mehr, ein philosophisches Leben etwas weniger. Aber keine Form des guten Lebens kann gänzlichauf diese äußeren Mittel verzichten, wie Sokrates’ mehr asketische gesinnte Gefolgsleute behaupteten. Zugleich impliziert jede dieser Lebensweisen, ob nun asketisch oder glänzend, eine ihr eigene Beschränkung des Strebens nach diesen Mitteln. Man benötigt eben nur so und so viele Jacken, Betten, Häuser und so weiter; darüber hinaus Dinge zu horten, wie Imelda Marcos ihre 2700 Paar Schuhe, ist schlichtweg verrückt. Der rechtschaffene und gemäßigte Mensch erwirbt nur die Dinge, die er für ein gutes Leben benötigt, und lässt es dann gut sein.
    Nun ist Dingen neben ihrem Gebrauchswert noch ein weiterer Wert zueigen, ein Wert, der in ihrer Tauschfähigkeit gründet. Das Verhältnis von Gebrauchswert zu »Tauschwert« – wie wir dazu einmal mehr mit Marx sagen können – bereitete Aristoteles ganz erhebliche Kopfschmerzen.[ ** ] Der Gebrauchswert ist heterogen und inkommensurabel. Ein Bett und ein Schwein tragen auf sehr unterschiedliche Weise zum guten Leben bei; das eine ist zum Schlafen da, das andere, um gegessen zu werden. Ein Bett kann besser als ein anderes Bett sein, aber zu sagen, ein Bett sei besser als ein Schwein – oder gar fünf Mal besser –, ergibt offensichtlich keinen Sinn. Doch wann immer wir ein Bett gegen ein Schwein (beziehungsweise fünf Schweine) eintauschen oder beide in monetären Begriffen werten, unterstellen wir eben ein solches gemeinsames Maß. Diese Transformation des »Ungleichen« in »Gleiches« ist ein Mysterium, das Aristoteles niemals wirklich löst, ja angesichts seiner Prämissen gar nicht lösen kann. Der Tausch bleibt ein metaphysischer Skandal, eine Missachtung der qualitativen Einzigartigkeit der Dinge. Viele Denker nach ihm verspürten dasselbe Unbehagen. So beklagte der deutsche Soziologe Georg Simmel etwa die »Reduktion auf den Mittelwert des Geldes, die sich die spezifischen Werte des Lebens gefallen lassen müssen«.[ 4 ] Keynes war ebenfalls ein echter Aristoteliker in seiner Präferenz für »Geschäfte, die wirkliche Geschäfte sind und nicht nur eine Spalte auf der Rechentafel«.[ 5 ]
    Aristoteles geht nicht so weit, den Tauschhandel – ungeachtet seinermetaphysischen Unschicklichkeit – direkt zu verdammen. Er akzeptiert die »von Natur aus [bestehende] Erwerbskunst« – die Kunst, Haushalte und Staaten mit den guten Dingen des Lebens zu versorgen. Probleme treten aber dann auf, wenn diese Art des naturgemäßen Erwerbsstrebens die Grenze zu einer anderen, unnatürlichen Erwerbsart überschreitet. Das Geld ist die Schlange im Garten des Herrn, denn mit ihm eröffnet sich die – dem Tauschhandel unbekannte – Möglichkeit, Dinge zu kaufen, nicht um sie zu gebrauchen, sondern um sie für
mehr
zu verkaufen. Ursprünglich und eigentlich ein Tauschmittel, wird das Geld so rasch zu einem Zweck an sich und der Gebrauchswert der Dinge zum bloßen Mittel. Häuser, Höfe und Gerätschaften werden ihres eigentlichen Zwecks beraubt und ohne Blick auf ihre Unterschiede in Träger monetärer Werte verwandelt. Diese Perversion von Mitteln zu Zwecken und Zwecken zu Mitteln findet ihren extremsten Ausdruck im Wucher, »weil dort vom Geld selbst das Erwerben rührt, nicht aber von dem, wozu eigentlich das Geld angeschafft wurde«.[ 6 ]
    Zwei Aspekte dieses Prozesses sind es, die Aristoteles besonders beunruhigen. Der erste betrifft seine Macht, das gerechte Ziel aller menschlichen Betätigungen dem Behelfsziel des Gelderwerbs unterzuordnen. »Diese Leute aber«, klagt er in seiner
Politik,
»machen alle Fertigkeitskünste zu kapitalerwerbenden.«[ 7 ] Die Konsequenzen dieser Verderbtheit sind allenthalben leicht zu sehen: Ärzte denken nur an ihr Honorar, Soldaten kämpfen nur gegen Sold, Gelehrte verlangen Geld für ihr Wissen. Auch die Handwerkskunst leidet darunter, wie Aristoteles am Beispiel des »delphischen Messers« zeigt, ein billiger Artikel, der zum Schneiden und Hämmern gedacht war und weder für das eine noch das andere taugte. (Das Schlafsofa könnte vielleicht eine moderne Entsprechung sein.) Worauf es Aristoteles dabei ankommt, ist, dass Dinge, die hauptsächlich um des Gewinns willen und nicht um ihrer selbst willen gemacht werden, aller Wahrscheinlichkeit nach schlecht oder gerade eben nur so gut gemacht werden, dass man seine Kundschaft nicht gleich vergrault. Wenn das Geschäft von General Motors darin besteht, Geld

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