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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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bewegenden vertikalen Ebene gemessen […] Wir müssen nur noch eine weitere Dimension hinzufügen, die die Zahl der Empfindungen misst, und sie über die Zeit und das Empfindungsvermögen einfügen, und dann sind wir beim reinen Utilitarismus angelangt.[ 7 ]
    Von den antiken Griechen bis zum Hedonimeter war es eindeutig ein langer Weg. Wir können vermuten, dass Tellos’ Werte auf dem Hedonimeter nicht sehr gut gewesen wären.
    In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begannen die Ökonomen, an den psychologischen Grundlagen ihres Fachs zu zweifeln. Der Behaviorismus stand hoch im Kurs, Spekulationen über Bewusstseinszustände waren als unwissenschaftlich verpönt. Zum Glück stellte sich heraus, dass der größte Teil der ökonomischen Theorie ohne Bezug auf Bewusstseinszustände auskam. Offensichtlich genügte die Annahme, dass Konsumenten kohärente Vorlieben haben, die in ihrem Verhalten zum Ausdruck kommen. Die Vorlieben erscheinen »nützlich«, insoweit sie befriedigt werden. Wenn mir zum Beispiel ein Apfel und eine Birne angeboten werden und ich die Birne wähle, dann liegt dem die Hypothese zugrunde, die Birne habe für mich mehr Nutzen als der Apfel. Aber damit ist nichts über meine geistige Verfassung ausgesagt, nur über meine Verhaltensneigungen. Hedonimeter und dergleichen können wir als irrelevant beiseite lassen.
    Diese theoretische Rekonstruktion – das Werk einiger großer Ökonomen zwischen 1900 und 1930 – erlaubte es dem Fach, gegenüber denFakten der menschlichen Psychologie weiterhin heitere Gleichgültigkeit zu bewahren. Aus ökonomischer Sicht spielt es keine Rolle, ob die Menschen Altruisten, Egoisten, Hedonisten, Masochisten oder etwas anderes sind; es zählt nur, dass sie bestimmte Präferenzen haben und danach handeln. Dieser Formalismus hat jedoch seinen Preis. Im 19. Jahrhundert glaubte man ganz im Sinne Benthams, mehr Reichtum führe zu mehr Glück. Doch die modernen Ökonomen können nur sagen, dass Reichtum den Nutzen maximiert im Sinne einer »Befriedigung von Konsumentenpräferenzen«. Die Frage, ob die Befriedigung von Konsumentenpräferenzen
Glück
bedeutet, können sie nicht beantworten. Das Projekt Wirtschaftswachstum erinnert ein bisschen an eine Comicfigur, die über die Klippe hinaus einfach immer weiterrennt – ihre Füße bewegen sich, aber sie hat keinen Boden mehr darunter.
    In den 1930er- und 1940er-Jahren, mitten in der weltweiten Rezession und dem Krieg, konnte man solche Fragen als rein akademisch abtun. Zwei Jahrzehnte später jedoch waren sie dringlich geworden. Eine Flut wichtiger Bücher –
Gesellschaft im Überfluss
von John Kenneth Galbraith,
Der eindimensionale Mensch
von Herbert Marcuse und
Psychologie des Wohlstands
von Tibor Scitovsky – hinterfragten die Gleichsetzung von »Nutzen« und Glück. Rousseaus Ängste tauchten wieder auf. Was wäre, wenn der technische Fortschritt genauso schnell neue Wünsche entstehen lässt, wie er alte befriedigt? Was wäre, wenn die Menschen eher nach dem relativen als nach dem absoluten Vorteil streben, wodurch der Wettbewerb auf dem Markt zum Nullsummenspiel würde? Solche Fragen führten die Ökonomen aus dem Bereich ihrer Disziplin heraus und auf das zuvor verbotene Gebiet der Psychologie.
    Unterdessen erlebte die Psychologie ihre eigene Revolution. Das behavioristische Veto gegen die Introspektion fiel, und damit waren Selbsteinschätzungen als Daten zugelassen. Umfragen zu Glück wurden erstmals in den 1940er-Jahren in Amerika durchgeführt und in jedem Jahrzehnt seither immer zahlreicher und immer ausgefeilter wiederholt. Die Daten waren ein Gottesgeschenk für die mittlerweile mit dem rein formalen Konzept des Nutzens unzufriedenen Ökonomen, denn sie versprachen,Wohlbefinden unabhängig von Konsumentenentscheidungen zu messen – ein harter Standard, mit dem dann die Vorteile des Wachstums zu vergleichen waren. Damit kann die Wirtschaftswissenschaft wieder werden, was sie ursprünglich sein wollte: die Wissenschaft davon, wie man das größte Glück der größten Zahl erreicht.
Ö KONOMISCHE G LÜCKSFORSCHUNG
    Im Jahr 1974 veröffentlichte der Ökonom Richard Easterlin einen berühmten Aufsatz mit dem Titel »Does Economic Growth Improve the Human Lot?« (Verbessert Wirtschaftswachstum das Los der Menschheit?) Nach einer gründlichen Untersuchung von Glücksindikatoren und BIP in einer Reihe von Ländern weltweit lautete seine Antwort »vermutlich nicht«. Seither hat es unzählige weitere Studien

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