Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
versorgen zu können. Diese Mittel nicht zu haben, bedeute, in entwürdigende Abhängigkeit von den Verwaltern des Kapitals, ob Privatleute oder Vertreter des Staates, gezwungen zu sein. »Der Staat muss dieses Recht [auf persönlichen Besitz] in seiner Gesetzgebung begünstigen und nach Kräften dahin wirken, dass möglichst viele von den Staatsangehörigen eine eigene Habe zu erwerben trachten.«[ 19 ] Diese Ideen flossen in die »distributive« Bewegung in England im frühen 20. Jahrhundert ein und ebenso in das christdemokratische Denken in Deutschland und Italien, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.
Das Plädoyer für Privateigentum, weil es der Persönlichkeit nützt, unterscheidet sich von der üblichen marktwirtschaftlichen Begründungund hat andere Implikationen. Im ökonomischen Mainstream ist Eigentum einfach Teil der rechtlichen Infrastruktur des Kapitalismus. Seine Verteilung ist nur insoweit von Interesse, als es zu Monopolen führen kann. Mit Blick auf die Persönlichkeit verletzt hingegen die Konzentration von Eigentum in wenigen Händen seine zentrale Funktion, nämlich Einzelnen und Familien eine unabhängige Lebensgrundlage zu geben. Eigentum muss breit verteilt sein, sonst kann es seine ethische Aufgabe nicht erfüllen. Wie eine solche breite Verteilung erreicht werden kann, ist ein zentrales Thema des nächsten Kapitels.
Harmonie mit der Natur
. Warum Harmonie mit der Natur zu den Basisgütern im menschlichen Leben gehört, haben wir im letzten Kapitel erörtert. Aber das Thema ist nach wie vor umstritten. Martha Nussbaum schreibt, einige ihrer südostasiatischen Kollegen würden die Idee als »Marotte einer romantischen grünen Partei« abtun.[ 20 ] Wir haben bei chinesischen Freunden eine ähnliche Reaktion erlebt. Es kann nicht geleugnet werden, dass die Menschen im Westen heute gerne sentimental auf die Natur blicken, manchmal so sehr, dass sie die gewichtigeren Forderungen übersehen, die menschliches Leiden stellt. Trotzdem: Ein Gefühl der Nähe zu Tieren, Pflanzen und der Natur ist wohl kaum eine westliche Besonderheit. Die Fülle von Naturdichtung in Sanskrit, klassischem Chinesisch und anderen Sprachen weltweit beweist das hinlänglich.
Harmonie mit der Natur wird oft so verstanden, als sei das Landleben schätzenswerter als das Leben in der Stadt. Seit den Tagen von Rom und Babylon gelten Städte als Sammelbecken von Schmutz und Lastern. Aber der gegenteilige Standpunkt hat ebenfalls Verteidiger. Sokrates fand alle Weisheit, die er brauchte, innerhalb der Mauern Athens. Marx sprach vom Idiotismus des Landlebens. Wir müssen uns hier nicht auf diese alte Debatte einlassen; beide Standpunkte haben etwas Wahres. Neu ist allerdings die schiere Größe einer modernen Stadt. Ein Bewohner von Paris im 18. Jahrhundert, damals die größte Stadt der Welt, musste nur eine halbe Stunde zu Fuß gehen, bis er Ackerland erreichte. Sein heutiges Pendant müsste sechs Stunden durch dichten Verkehrmarschieren. Das ist die Quelle des typisch modernen Unbehagens an der Stadt und der in ihren Wirkungen oft komischen Sehnsucht »zurück zur Natur«. Psychologen haben die negativen Effekte städtischer Übervölkerung auf Verhalten und Stimmung gut dokumentiert.
Sollen wir also die moderne Stadt abschaffen? In Anbetracht der gegenwärtigen Bevölkerungsdichte würde das bedeuten, die ländlichen Gebiete in gewaltige Vorstädte zu verwandeln. Aber wir sollten
versuchen,
dafür zu sorgen, dass die Städte nicht vollkommen entfremdet von ihrem ländlichen Umfeld sind. Über Jahrtausende waren lokale Lebensmittelmärkte der wichtigste Berührungspunkt zwischen Stadt und Land. Solche Märkte sind in England inzwischen praktisch verschwunden und mit ihnen jedes Gefühl für Ort und Jahreszeit. Der moderne britische Feinschmecker kann seinen abgestumpften Gaumen mit japanischem Tempura, Chili aus Sichuan, Couscous aus Marokko und einer Fülle anderer Leckereien aus dem globalen Supermarkt kitzeln, die allesamt aus jedem Bedeutungszusammenhang herausgelöst angeboten werden. Entfremdung von der Natur ist eine von vielen heimlichen Kosten der Wahlmöglichkeiten des Konsumenten.
Freundschaft.
Dieses Wort ist unvermeidlich eine unzulängliche Übersetzung für das alte griechische Wort
philia,
das alle festen, von Zuneigung getragenen Beziehungen bezeichnete. Vater, Ehemann, Lehrer, Arbeitskollege: Sie alle können »Freunde« in unserem Sinn des Begriffs sein. Wie oben erwähnt, könnte das den Anschein
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