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Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)

Titel: Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Maja Nowak
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ruhig.
    »Darf ich das nehmen?«, frage ich den Hofbesitzer, als ich bei einem Gang über den Hof einen großen Plastikdeckel, vielleicht von einem Farbeimer, auf dem Boden finde. Dieser hebt die Hände, um seine Leidenschaftslosigkeit zu diesem Thema auszudrücken. Ich nehme den Deckel, dessen Durchmesser vielleicht vierzig Zentimeter beträgt, und klemme ihn mir unter die Achsel. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie der Akita sofort den Kopf hebt, um misstrauisch das neue Objekt zu betrachten. Deshalb führe ich den Deckel spazieren, bis der Akita sich wieder entspannt hat. Im Hintergrund höre ich den Hofbesitzer mehrfach genervt Luft ausstoßen, womit er mir offenbar das baldige Ende seiner Geduld kundtun möchte. Etwas in mir hat sich jedoch bereits so mit dem Hund verbunden, dass diese Unmutsäußerungen mich nicht mehr beeinflussen.
    Der Akita hat sich jetzt hingelegt und toleriert meine Anwesenheit dicht neben dem Zwinger. Entschlossen trete ich nun rückwärts an die Tür heran und setze mich. Mein Rücken berührt fast das Gitter. Stille. Ich lausche auf den Atem des Hundes, der nur leise zu vernehmen ist. Dann höre ich das Klacken von Krallen auf dem Betonboden. Plötzlich ein warmer Luftstoß in meinen Haaren. Seine Nase bewegt sich neugierig schnüffelnd hinter meinem Kopf. Mir wird heiß vor Freude. Neugier ist in Verbindung mit Wut nicht möglich.
    Die Erkundung des Akitas ist gründlich und dauert lange. Ich drehe mich langsam zur Seite, damit er die intensiveren Gerüche, die aus Mund- und Genitalbereich kommen, besser wahrnehmen kann. Er toleriert meine Bewegung in seine Richtung. Nach der langen Leibesvisitation tut er etwas Wunderbares. Er geht weg. Mit seinem Zurückweichen auf eine andere Seite des Zwingers gibt er mir sein Territorium frei.
    Ich vertraue vollständig meinem Instinkt. Würde ich darüber nachdenken, ob der Akita mich trotz Freigabe seines Territoriums nicht doch beißt, würde er sicher genau das tun, weil ich dieses Bild erzeuge. Ich habe jetzt vollstes Vertrauen zu dem Hund, denn ich bin bereits in einer Verfassung, in der ich nicht mehr nachdenken kann. Als menschliches Tier mit einem anderen Tier instinktiv sein zu dürfen erzeugt ein überwältigendes Gefühl von natürlicher Kraft. Ich bin mir ganz sicher, dass auch der Hund diese Verbindung spürt und mein Eindringen nicht missverstehen wird.
    Mit dem Plastikdeckel unter der Achselhöhle öffne ich die Zwingertür und gehe rückwärts hinein, um meine friedlichen Absichten und meinen Respekt auszudrücken. Ich schließe die Tür und setze mich seitlich abgewandt auf den Boden. Der Akita vergrößert die Distanz zwischen uns noch ein weiteres Mal und weicht einen Schritt zurück. Dann setzt er sich ebenfalls.
    Ich atme erleichtert aus und blicke voll Freude zu dem jungen Mann, der darauf wartet, den Hund mitzunehmen. Am Telefon hatte er aufgeregt erzählt, wie er in der Kneipe davon erfuhr, dass der Hund erschossen werden solle. Jetzt lächelt auch er erfreut und ein wenig ungläubig. Mir fällt auf, dass er mit seinem gutmütigen Gesichtsausdruck und dem kräftigen Körperbau an den typischen Bauernsohn aus einem russischen Märchen erinnert. Ein Pjotr, der auszieht, um den bösen Drachen zu besiegen, könnte so aussehen. Warum also sollte er nicht diesen Hund retten, der sein Herz berührt hat?
    »So, jetzt reicht’s mit dem Kaffeekränzchen!«, donnert es plötzlich aus der Ecke des Hofbesitzers. »Jetzt nehmt das Vieh und verschwindet!« Wie in Zeitlupe nehme ich wahr, dass der Mann sich vom Gitter abstößt, an das er sich gelehnt hatte, und in drohender Haltung auf den Zwinger zusteuert. Zeitgleich schießt der Akita neben mir hoch und springt gegen die Zwingertür, dem Mann entgegen.
    Dann mache ich einen Fehler. »Bleiben Sie zurück!«, rufe ich dem Mann laut zu, um ihn zu stoppen. Ich bewege mich dabei in seine Richtung und damit auch hinter den Akita. Der Hund missversteht dies offenbar als Drohung gegen sich selbst, denn es veranlasst ihn, sich umzudrehen und seine Wut gegen mich zu richten. Er stößt mit geöffnetem Maul hart zu und trifft mich wie mit Boxhieben immer wieder an der Schulter und am Oberarm. Er setzt keine Zähne ein, nur die Kraft des Zustoßens. Ich bringe den Plastikdeckel zwischen mich und die Stöße, was mir mehr Sicherheit gibt. Dann nehme ich seine Hiebe hin und setze ihnen nichts entgegen als Ruhe und Friedfertigkeit.
    Es ist spürbar, dass er bereits so viele Maßregelungen

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