Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
einem Getreidebauern aus«, rufe ich ihm lachend zu. Er hebt bestätigend den Daumen und zieht stolz die Brauen nach oben.
Auf einer Hofbank sitzend erzählt er mir, dass er seit dem Tod seiner Eltern hier ganz allein wirtschaftet und es schwierig ist, eine Frau zu finden, die die Liebe zur Landwirtschaft teilt und bereit ist, mit ihm zu arbeiten. Er reibt sich dabei verlegen die Hände und sagt abschließend: »Aber jetzt habe ich zumindest den Timur hier.« Ich blicke ihn fragend an, bis ich begreife, dass er den Akita meint, der offenbar bereits einen Namen erhalten hat.
Wie auf ein Stichwort erscheint der Hund in diesem Moment auf der umgelegten Heckklappe meines Autos. Er sieht sich um. Sein Anblick hat etwas von der majestätischen Schönheit eines Raubtieres auf einem Felsvorsprung. Alles Steife und Spannungsgeladene ist von ihm abgefallen. Lässig springt er herunter und beginnt schnüffelnd über den Hof zu streifen.
»Soll ich ihm zum Anlocken etwas zu fressen geben?«, fragt Vladimir, dem ich bei diesem persönlichen Gespräch das Du anboten habe.
»Lass ihn ruhig erst einmal ankommen«, empfehle ich ihm. »Du kannst warten, bis er zu dir Kontakt aufnimmt, und musst ihn nicht bestechen. Bestechung durchschaut er sofort als Schwäche. Du müsstest ihn ja führen können, wenn er bei dir bleiben soll.«
»Aber du sagtest doch, dass sich ein Akita nicht führen lässt«, wendet Vladimir ein.
»Ich sagte, dass man ihn nicht unterwerfen kann. Führen kann man ihn schon, wenn er sich dir anvertraut und sich entschließt, mit dir zu kooperieren.«
»Was muss ich denn dazu tun?« Vladimir steht auf.
»Ich würde dir empfehlen, ihn in Ruhe zu lassen, bis er von selbst kommt. Dann würde ich die wichtigsten Regeln einführen, die ihr in eurem persönlichen Alltag braucht und dabei bleiben. Außerhalb dieser Regeln würde ich ihm so viel Freiraum wie möglich lassen.«
Der Hund ist jetzt in unserer Nähe und untersucht einen Stapel Holzscheite. Seine Prüfung beendet er mit dem Heben des Beines. Er hat bereits viele Stellen im Hof markiert. Zwischendurch schüttelt er sich immer wieder, als wollte er den alten Stress damit endgültig loswerden. Dann springt er mit einem kraftvollen Satz auf das flache Vordach eines Schuppens. Dort lässt er sich laut ausatmend nieder und beginnt, Körperpflege zu betreiben. In diesem Moment wirkt er, als würde er schon sehr lange hier leben.
»Sieht gut aus«, sage ich laut und weise in die Richtung des Hundes.
Der junge Mann strahlt. »Ich glaube auch! Ich habe das Gefühl, er ist hier schon angekommen.« Lachend fügt er hinzu: »Die Frage ist nur, ob er auch mich mit dazunimmt.«
Am nächsten Morgen fahre ich wieder zu seinem Hof. »Guten Morgen, ihr zwei«, begrüße ich Vladimir am Hoftor und sehe mich vergeblich nach Timur um.
»Wo ist er denn?«, frage ich beunruhigt.
»Auf seinem Platz«, verkündet Vladimir nicht ohne Stolz und gibt mir ein Zeichen, ihm zu folgen.
Im Haus betrete ich einen langen Flur mit grauen Steinfliesen und gehe hinter Vladimir in eine große Küche.
Der Akita liegt halb schlafend auf dem Boden auf einem braunen Polsterkissen und blinzelt, als wir hereinkommen.
»Ha, das gibt es ja nicht«, sage ich staunend.
»Wenn du wüsstest«, bricht es aus Vladimir heraus.
»Ich habe gestern ja die Haustür offen gelassen, damit er zu jeder Zeit herein kann. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass er es tut, und so habe ich mich mächtig erschrocken, als ich am späten Abend von der Küche in mein Wohnzimmer ging und der Hund ausgestreckt auf meinem Sofa lag. Das war ein Anblick, sag ich dir.«
»Auf deinem Sofa?«, frage ich erstaunt.
»Ja, er ist ins Haus gekommen und hat sich den besten Platz ausgesucht«, sagt er lachend. »Ich hab aber dran gedacht, was du gesagt hast, und überlegt, wie ich mich jetzt verhalte. Dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es eine gute Regel ist, wenn er nicht in der Stube auf meinem Sofa liegt, weil ich dann keinen Platz mehr hätte. Da ich aber mit ihm kooperieren wollte, nahm ich das Polster, auf dem er lag, und brachte es in die Küche. Ich habe ihn dabei ruhig an der Leine mitgeführt, und er hat sich anstandslos draufgelegt. Ist das nicht ein Ding?«
Mein Mund öffnet sich vor Bewunderung. Ich weiß nicht, ob sich Vladimir überhaupt bewusst ist, was er da getan hat. Mit spielerischer Leichtigkeit hat er gemeistert, was ich mir selbst hart erarbeiten musste – den respektvollen Umgang mit einem
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