Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
erfahren hat, dass er momentan nicht in der Lage wäre, Unterschiede wahrzunehmen, wenn ich ihn abwehren wollte. Er wirkt durch die entwürdigenden Versuche des Mannes, ihn zu unterwerfen, so verzweifelt, dass ich ihm seine Wut erlaube. Jeder, der einen Akita kennt, weiß, dass man diese Hunde nicht unterwerfen kann. Ein Hund, der Samurais begleitete und Bären mutig verfolgt und stellt, kann sich nicht unterwerfen. Er braucht einen Menschen, der ihn respektiert und mit ihm kooperiert, sodass er sich ihm als Partner anvertrauen kann.
Der große schwarze Akita umkreist mich jetzt nach seiner Wutattacke und atmet heftig. Ab und zu stößt er mit wenig Kraftaufwand noch probeweise nach mir, um meine Reaktion zu testen. Ich wende mich beschwichtigend ab und brumme Signale der Anerkennung, wenn er in seinem Wüten kurz innehält. »Guuut.«
»Siehste, den schaffst du auch nicht«, ruft der Hofbesitzer und will wieder provozierend herantreten. Da greift der junge Mann überraschend ein und stellt sich ihm in den Weg.
»Lass es jetzt gut sein, Kurt. Wir nehmen den Hund mit wie abgemacht, und du lass ihm jetzt seinen Frieden. So musst du nicht sein, das ist nicht gut.«
Der Hofbesitzer sieht den jungen Mann verdutzt an.
»Na, da schau her, der Vladi spricht. Bist doch sonst so stumm. Meinethalben geht jetzt mit dem Vieh. Ich will einfach meine Ruhe vor so was haben.« Er zeigt unbestimmt in meine und die Richtung des Hundes und zieht sich wieder zu dem Zwinger des Schäferhundes zurück.
Der Akita hört augenblicklich auf, in seine Richtung zu starren. »Guuut«, brumme ich und lächle erleichtert, als er mich ansieht. In diesem Moment geschieht etwas, was mit Worten kaum zu erklären ist. Ich spüre ganz deutlich, dass gerade die provozierende Annäherung des Mannes wichtig war, um dem Hund etwas deutlich zu machen. Durch seinen Wutausbruch, den er gegen mich richten musste, scheint er verstanden zu haben, dass an mir nichts zu finden ist, wogegen er kämpfen könnte oder müsste. Tatsächlich legt er sich kurz darauf neben mich und den Kopf auf dem Boden ab.
Ich habe jetzt das dringende Bedürfnis, den Zwinger und das Grundstück so schnell wie möglich zu verlassen. Sanft berühre ich den Hund mit der äußeren Handfläche an der Seite. Sein Fell ist verklebt und starrt vor Dreck. Er lässt die Berührung zu und hebt schnüffelnd die Nase in meine Richtung. Ich sehe das Stachelhalsband an seinem Hals, und mir ist klar, dass ich einen Vertrauensverlust des Hundes riskiere, wenn ich eine Leine dort anzulegen versuche. So löse ich langsam eine einfache Leine, die ich um den Bauch trage, und ziehe das Ende mit dem Karabiner durch die Handschlaufe, sodass sich eine Schlinge bildet. »Es ist alles gut«, sage ich sanft, aber mit fester Stimme, während ich die Schlaufe mehrfach seine Wange berühren lasse wie eine Liebkosung, und sie dann beiläufig um seinen Hals fallen lasse. Der Hund verhält sich völlig ruhig, und es ist, als ob ein ganz anderes Band als diese Leine uns nun verbindet.
»Komm, der Kampf ist zu Ende.«
Ich öffne die Zwingertür und gehe zügig mit dem Hund hinaus auf mein Auto zu. »Na dann viel Glück, du Miststück!«, zischt uns der Mann hinterher und lässt offen, wen von uns beiden er damit meint.
Der gerade vorher noch so aufgebrachte Hund dreht sich nicht nach ihm um. Er begleitet mich zu meinem Auto und springt sofort hinein, als ich hinten die Klappe öffne. Bevor ich sie schließe, erhasche ich einen Blick aus den Augen des Akitas, den ich von ihm nach so kurzer Zeit noch nicht erwartet hätte. Er drückt Zustimmung aus.
»Der Kurt hatte halt schon immer Schäferhunde«, erklärt der junge Mann auf meinem Beifahrersitz, während wir durch das Dorf zu seinem Haus fahren. »Der hier«, er zeigt hinter sich in die Richtung des Akitas, »hat ihn ganz schön verrückt gemacht. Sie passen einfach nicht zusammen.«
»Ich weiß nicht, warum immer angenommen wird, dass es bei Schäferhunden erlaubt ist, grob und laut zu sein«, sage ich ungehalten. »Sie haben ja selbst gesehen, dass auch der Schäferhund sein Bestes gegeben hat und trotzdem angeschrien und getreten wurde.«
»Aber er hat ›Platz‹ statt ›Sitz‹ gemacht.«
Ungläubig blicke ich in das sommersprossige Gesicht des jungen Mannes.
»Und das ist ein Verbrechen?«, frage ich bemüht ruhig.
Er hebt hilflos die Schultern, und ich sehe ihm an, dass ihm die Unbedachtheit leidtut.
»Der Hund kam bereits ängstlich aus dem
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