Wie viel Mensch braucht ein Hund: Tierisch menschliche Geschichten (German Edition)
ist, hat er ihre Größe bereits erreicht. Während ich losfahre, lege ich meine rechte Hand schützend über den Welpen. Ein seltsam drangvolles Gefühl kommt in mir auf. Fast wünschte ich mir, dass etwas passieren würde, wovor ich den Kleinen bewahren könnte. Ein mütterlicher Beschützerinstinkt hat, ehe ich mich versehen konnte, von mir Besitz ergriffen. In meinem Auto leben jedoch weder Alligatoren noch tobt darin ein Unwetter.
Nach einer dreiviertel Stunde Fahrt bemerke ich, dass meine Hand immer noch auf dem Hund liegt.
Es regnet wieder, als ich zu Hause ankomme. Meine inzwischen fünfjährige Hündin Frieda und die vierjährige Tinka weichen erstaunt zurück, als der kleine schwarzweiße Kerl neugierig über die Schwelle unserer Haustür springt.
Vorsichtiges Beschnüffeln vonseiten der Großen, begeisterte Spielaufforderungen des Kleinen.
Frieda zieht daraufhin sofort eine Lefze hoch. Sie toleriert ungestüme Annäherungen niemals. Weder bei fremden Hunden noch bei Hunden, die sie kennt. Tatsächlich benötigt sie nur ihren Blick und ein winziges Anheben der Lefze, um einen stürmischen Annäherungsversuch zu unterbrechen. Nur bei sehr hartnäckigen Vertretern der Art »Ach, war ich noch nicht gut genug? Warte, ich kann es besser« greift sie zu einem höchst speziellen Warnlaut – der nicht nur Hunde zusammenfahren lässt, sondern auch deren Besitzer.
»Kraaaah!« In diesem Ton, der tatsächlich dem Laut einer Krähenart ähnelt, schwingt so viel eiserne Entschlossenheit mit, dass jeder halbwegs soziale Hund in seiner Handlungsabsicht einfriert und einen kleinen Respektbogen einplant, wenn er Frieda begegnet. Allerdings ist es wiederum genau Frieda, die eben jenen Hund zum Spiel auffordert, wenn er sich bei mehreren Begegnungen ruhig und respektvoll verhalten hat. Wäre sie eine Frau, würde sie sicher Männer der Art »Küss die Hand, gnä’ Frau« bevorzugen. Und das bitte nur aus dreißig Zentimeter Entfernung. Und dann auch mindestens drei Wochen lang aus dieser Distanz.
Und dann kommt plötzlich etwas, womit niemand bei ihr rechnen würde: ein Ausbruch großer Albernheit. Hohes dringliches Fiepen, auf den Brustwarzen kriechen, die Lefzen zu einem riesigen Grinsen nach oben ziehen, wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her springen, von einer Spielaufforderung in die nächste gehen, toben, rennen, sich wälzen. Für zehn Minuten. Danach ist man wieder vornehm. Bis zum nächsten Spiel.
Als der junge schwarzweiße Hund noch einen Versuch unternimmt, an Frieda hochzusteigen, kräht sie ihren Vogellaut und legt ihm entschieden den Fang über die kleine dicke Schnauze. Er wendet sich daraufhin unbekümmert ab und Tinka zu, die nicht nur seiner Größe entspricht, sondern auch sicher als Spielkameradin bestens geeignet ist.
Die Terrier-Dackel-Dame Tinka pflegt ein völlig anderes Begegnungsritual als Frieda. Ihr demonstrativ abgewandter Blick und ein beiläufiges schnüffelndes Umhertappern zeigen deutlich: »Ich, übrigens, bin an fremden Hundebekanntschaften nicht sonderlich interessiert.« Tatsächlich reicht dieses Verhalten fast immer aus, und ein Hund, der sich ihr gerade noch genähert hat, dreht ab, bevor er sie erreicht.
Tinka erweckt den Eindruck, als trüge sie eine Tarnkappe. Diese ist allerdings nur für die Hundewelt bestimmt. Für Menschen trägt sie nach wie vor einen Beleuchtungskegel in sich, damit sie auf keinen Fall übersehen wird, falls gerade jemand einen Hund streicheln will. Aber auch für den Welpen ist Tinka wahrnehmbar, und er gibt sein Bestes, um seinerseits von ihr bemerkt zu werden. Er springt über sie hinweg, auf sie drauf, kriecht unter ihr durch und hebt sie dabei in die Luft.
Jetzt setzt Tinka ihre letzte und ultimative Abwehrtechnik ein: Aus dem Stand heraus hebt sie zackig ein Hinterbein bis in den Spagat, was ihr das Aussehen einer Eiskunstläuferin verleiht. Diese Haltung heißt bei ihr: »Ich mache es dir bequem ranzukommen, jetzt schnüffle schnell und dann ist gut.«
Der junge Hund versteht diese Aussage aber nicht und nimmt Anlauf, um bei diesem tollen Figurenspiel mitzumachen. Er hebt die dicken Vorderpfoten, die bereits jetzt dreimal so groß sind wie Tinkas Pfötchen, geht auf wackeligen Hinterbeinen auf die Hündin zu und kippt auf sie drauf, weil er das Gleichgewicht nicht halten kann. Tinka, die sich durch den hinteren Spagat selbst in einer instabilen Haltung befindet, fällt ebenfalls um.
»Hrrrrrr.« Sie fährt hoch und beißt mit einem
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