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Wie weit du auch gehst ... (German Edition)

Wie weit du auch gehst ... (German Edition)

Titel: Wie weit du auch gehst ... (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Stefanie Höll
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dann sprangen sie gleichzeitig entgegengesetzt hinter den herumstehenden Marmorstatuen in Deckung. Die Aktion dauerte nur Sekunden, löste aber geradewegs den empfindlichen Alarm des Anwesens aus.
    »Wer zum Teufel bist du denn?«, zischte Nevio.
    »Das geht dich einen verdammten Dreck an«, gab Silas zurück. Ehe sie noch Zeit hatten, sich gegenseitig unter Beschuss zu nehmen, trat ein neuer Gegner auf den Plan. Die Leibgarde der beiden Brüder kam angerannt.
    In dem darauf folgenden Kugelhagel blieb Silas und Nevio nichts anderes übrig, als sich weiter zurückzuziehen. Irgendwann saßen sie in der gleichen Ecke. Auch ohne Verständigung begriffen sie, dass sie nur eine Chance hatten, wenn sie sich gegen den gemeinsamen Feind verbündeten. Wie sie es schafften, aus dem zweiten Stock unbeschadet in den Garten zu gelangen, konnte Silas im Nachhinein nicht mehr sagen. Wahrscheinlich lag es schlicht an Nevios Raffinesse oder daran, dass er sich als begnadeter Akrobat entpuppte. In erstaunlicher Einigkeit flüchteten sie in das nahe gelegene Waldstück. Doch kaum waren sie aus der Gefahrenzone, löste sich der trügerische Friede auf.
    »Was zum Teufel sollte das werden?«, brüllte Nevio und pfefferte den schwarzen Leinensack mit seiner Beute auf den Boden. »Deinetwegen bin ich beinahe draufgegangen.«
    Silas riss sich die Maske vom Kopf. »Jetzt mal langsam, Opa, schließlich war ich es, der dir bei deinem Abgang geholfen hat.«
    Nevio zog sich ebenfalls sein Tuch vom Gesicht. »Das soll wohl ein Scherz sein?«, entfuhr es ihm. »Wie alt bist du eigentlich, Bürschchen?«
    Silas steckte die Waffe ein. »Jedenfalls alt genug, um zu wissen, dass du auch keine Einladung hattest.«
    »Was wolltest du mit dem Ding? Hast du gedacht, du könntest den Selinski-Brüdern damit einfach mal so das Licht auspusten?« Er lachte herzhaft.
    Silas warf ihm einen wütenden Blick zu. »Das hätte ich auch geschafft, wenn du nicht dazwischengeplatzt wärst.« Ohne ein weiteres Wort stapfte er davon.
    Nevio packte ihn an der Schulter und riss ihn zu sich herum. »Wenn ich nicht gewesen wäre, Jungchen, würdest du jetzt die Radieschen von unten zählen, denk mal darüber nach.«
    »Na und wenn schon.« Silas schüttelte unwirsch seine Hand ab. »Wen kümmert das?«
    »Warum wolltest du die beiden überhaupt umbringen?« Nevio schnappte sich seine Beute und ging neben ihm her. »So etwas Dummes habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
    »Nicht? Na dann pass mal gut auf.« Silas hechtete zur Seite und riss im Fallen bereits die Waffe aus dem Gürtel. Nevios Reflexe waren nicht minder schlecht. Er warf sich nur einen Sekundenbruchteil später hinter einen nahe gelegenen Felsen. »Was soll das?«, bellte er patzig und zog ebenfalls seine Waffe. »Fangen wir jetzt wieder von vorn an?«
    »Wir vielleicht nicht, aber die da drüben ganz bestimmt«, sagte Silas. Er zeigte aus der Deckung heraus in Richtung Haus.
    Nevio linste um den Felsen herum. Mehrere Leuchtstrahlen von Taschenlampen bewegten sich über den Rasen auf sie zu. »Mist, wir sollten schleunigst verschwinden. Zurück zur Mauer.«
    Silas blickte ungläubig in Richtung der meterhohen Umzäunung, die das Anwesen wie ein Gefängniswall umgab. »Spinnst du jetzt total? Wie willst du denn da rüberkommen?«
    Nevio robbte bereits los. »Gar nicht. Wir benutzen den Versorgungskanal.«
    »Welchen Versorgungskanal?« Silas folgte ihm neugierig.
    Eine Stunde später hatte er zwei wichtige Lektionen gelernt. Erstens: Für den Rückzug immer ein Ass im Ärmel behalten. Und zweitens: Warum direkt, wenn’s auch umständlich geht. Der kürzeste Weg war nicht zwangsläufig der beste. Während er sich in einer halsbrecherischen Aktion unter eines der Autos gehängt hatte, um auf das Anwesen zu gelangen, war Nevio elegant und gefahrlos durch einen ungesicherten Abwasserkanal spaziert. Silas war vielleicht erst dreizehn, aber eines begriff er trotzdem: Von Nevio konnte er eine Menge lernen. Und das lag nicht nur an dem Altersunterschied von neunzehn Jahren und der damit verbundenen Erfahrung. Es lag vor allem an den Hintermännern, denen Nevio ihn kurzerhand vorstellte. Silas mochte nicht darüber nachdenken, was aus ihm geworden wäre, wenn er Nevio in dieser Nacht nicht begegnet wäre. Fortan lernte er von Nevios wachem Verstand. Der Chilene besaß eine unglaubliche Fähigkeit, in beinahe jeder Umgebung spurlos verschwinden zu können. Silas hatte in dieser Nacht so einiges begriffen.

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