Wie weiter?
zurück. Nach Schätzung der Rockwool-Stiftung in Kopenhagen liegt in Großbritannien inzwischen der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt bei nur 1,2, in Deutschland hingegen bei 4,1 Prozent. Das Bundesministerium der Finanzen schätzte 2006 den Anteil der Schattenwirtschaft (zu der auch die Schwarzarbeit rechnet) an der Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik auf 15 Prozent, d. h. auf 345 Milliarden Euro. Man kann also sehen, dass die Einführung eines Mindestlohnes nicht nur ein Beitrag zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit wäre und die Sozialhaushalte entlastete, sondern auch andere positive Effekte für die Volkswirtschaft brächte.
8. Perspektiven für die Nächsten
N atürlich, trotz der positiven Effekte eines gesetzlichen Mindestlohnes und seiner zentralen Bedeutung ist er kein Deus ex machina, mit dem sich alle gesellschaftlichen Probleme wie von selbst lösten. Es bleibt unverändert die Frage: Wie kommen die nachfolgenden Generationen in Lohn und Brot? In der Bundesrepublik ist die Jugendarbeitslosigkeit nicht so dramatisch hoch wie in Portugal, Spanien, Griechenland und anderen Staaten der EU. Aber viel wird verschleiert durch die »Generation Praktikum«, also jene Unmasse an exzellent ausgebildeten und meist auch mit internationalen Erfahrungen ausgestatteten jungen Menschen, die für bestimmte Jobs »überqualifiziert« sind und für andere, die der Qualifikation angemessen wären, keine Verwendung finden, allenfalls »auf Probe« oder befristet eingestellt werden.
Mit dem Wegfall des Staatssozialismus gibt es keinen Wettbewerb in der sozialen Frage. Warum sollten heute Konservative und Liberale in Deutschland ein Motiv haben, andere soziale Standards zu setzen als in anderen Staaten der EU? Und die Linke ist zu schwach, um diesbezüglich den gleichen Druck auszuüben wie ein ganzer Staat. Wären wir stärker – im Parlament, auf der Straße – könnten wir ganz anders agieren.
Zudem war der Neoliberalismus auch hierzulande eine Zeitlang erfolgreich und hat den Zeitgeist geprägt. Der war damals aus auf Zurückdrängung des Staates und Privatisierung aller Bereiche der Gesellschaft. Und wenn alles privatisiert wird und der Einzelne nicht mithalten kann, verliert dieser zwangsläufig auch jede Perspektive.
Warum sind denn Studierende heute so wenig rebellisch? Wenn man ihnen Ende der 60er Jahre solche unbezahlten Jobs – Praktika genannt – angeboten hätte, wäre es nicht so ruhig geblieben wie jetzt schon seit Jahren. Damals hätten sich die Unternehmen und Institutionen überhaupt nicht getraut, solche »Praktika« anzubieten, weil sie – mit Recht – bundesweite Proteste fürchten mussten.
Wir alle – nicht nur die Studierenden – lassen uns heute zu viel bieten!
Aber ich kann mich nur wiederholen:
Wenn man die Gesellschaft verändern will, muss man als Erstes den Zeitgeist verändern. Und er beginnt sich zu ändern. Allein die Tatsache, dass die soziale Frage inzwischen zu einem zentralen Thema des Bundestagswahlkampfes und der öffentlichen Debatte geworden ist, zeigt doch, dass sich da etwas bewegt hat. In der Phase des Neoliberalismus wurde ich, wenn ich soziale Fragen aufwarf, behandelt, als käme ich aus dem 19. Jahrhundert. Was wurden wir als Partei verlacht und verhöhnt. Inzwischen hat sich selbst die FDP soziale Themen aufs Wahlkampfbanner geschrieben.
52 Prozent der Menschen bis zu 35 Jahren hierzulande haben befristete Arbeitsverhältnisse. Nicht einmal jeder Zweite in dieser Generation weiß überhaupt, was eine Festanstellung ist.
Und später heißt es dann: zu alt. Wären Sie doch vor zehn Jahren gekommen.
9. Gemeinschaftsschule für alle
W ir haben 16 Bundesländer, 16 verschiedene Schulstrukturen und 16 verschiedene Lehrpläne. Das passt ins Zeitalter der Postkutschen, aber nicht ins 21. Jahrhundert. Das Bildungssystem in Deutschland ist altmodisch und antiquiert, stammt aus dem Kaiserreich, ist chronisch unterfinanziert und unterscheidet die Bildungschancen ganz klar nach sozialer Herkunft. Andreas Schleicher, der PISA-Koordinator der OECD, hat gesagt: Wenn wir die Kinder des 21. Jahrhunderts von Lehrern mit einem Ausbildungsstand des 20. Jahrhunderts in einem Schulsystem unterrichten lassen, das im 19. Jahrhundert konzipiert wurde, dann kann das so nicht funktionieren.
Warum ist das so? Ich will nicht glauben, dass dies nur am individuellen Ehrgeiz der Kultusminister liegt, dem Bildungsbereich des Landes einen eigenen Stempel aufdrücken zu
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