Wie weiter?
leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler in Berlin waren deutlich stärker als die in Hamburg, und die leistungsstarken in Berlin waren ebenfalls besser als die in Hamburg. Die Mär, dass die Leistungsstarken in einer Gemeinschaftsschule benachteiligt würden, war damit empirisch widerlegt.
Diese These ist nach meiner Überzeugung auch aus einem anderen Grunde nicht haltbar. Kinder auf Eliteschulen sind isoliert, indem sie »unter sich« bleiben, sie lernen nicht sozial. Diese Kinder haben zwar ein größeres Faktenwissen, aber sie können letztlich nicht sozial damit umgehen. Und diese Aufsplittung verfestigt die soziale Zerklüftung der Gesellschaft. Die Eliten reproduzieren sich selbst, die sogenannten bildungsfernen Schichten werden immer mehr ins Abseits gedrängt und verbleiben auch dort für immer. Das ist nicht nur ungerecht, sondern es schadet der Gesellschaft insgesamt, wenn Begabungen nicht entdeckt werden und ungenutzt bleiben.
24 Prozent der Kinder von Nichtakademikern studieren, aber 71 Prozent der Kinder von Akademikern. Da ist doch ganz klar, welcher soziale Unterschied hier durch eine falsche Struktur im Bildungssystem manifestiert wird.
Wir haben jetzt bundesweit wieder den Zustand, dass die Herkunft des Kindes über sein weiteres Leben entscheidet. Ein Kind, das nicht zwischen Bücherregalen der Eltern aufwächst, muss nicht untalentiert sein. Aber es hat bei dem heutigen Schulsystem keine Chance, seine unentdeckten Talente zu entfalten. Wir brauchen darum ein Bildungssystem, das allen Kindern Chancengleichheit sichert. Wir müssen die Begabung eines Professorensohns ebenso fördern wie die Begabung des dritten Kindes einer alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin. Kinder können nichts dafür, in welche Familie sie hineingeboren werden. Mein Schulfreund wohnte jenseits unserer Straße, seine Mutter besaß eine Bibel und ein Kochbuch, wir hatten daheim deutlich mehr Bücher. Und trotzdem ist er Oberarzt geworden. Und das, obwohl er katholisch war, was in der DDR nicht unbedingt als Empfehlung galt. Er ist ein guter Mediziner geworden. Hätte er unter den heutigen Bedingungen diese Möglichkeit gehabt? Ich glaube nicht.
Wenn ich daran erinnern darf: Gerhard Schröder kam aus ärmlichen Verhältnissen, er sagte selber: »Wir waren die Asozialen.« Er hat sich durchgewühlt und an der Abendschule die Mittlere Reife nachgeholt, dann auf dem Zweiten Bildungsweg das Abitur gemacht und anschließend Jura studiert. Er war bereits 32, als er seine Zulassung als Anwalt erhielt. Hat er aber als Ministerpräsident Niedersachsens oder als Bundeskanzler etwas unternommen, dass Kinder mit vergleichbarer Herkunft es leichter hätten als er? Heute wäre eine adäquate Entwicklung kaum noch denkbar.
»Gerhard Schröder ist der bislang einzige Bundeskanzler, der in einem Dorf geboren wurde«, heißt es bei Wikipedia . Man kann es als Bestätigung meiner Aussage nehmen, dass er sich durchgewühlt hat. Es lässt sich aber auch so lesen: Die anderen Bundeskanzler hatten es leichter, weil sie aus besseren Verhältnissen kamen.
Nachdem die Sowjetunion den ersten Sputnik, die erste Hündin und dann den ersten Menschen ins All befördert hatte, womit die Amerikaner sichtbar ins Hintertreffen gerieten, machte, wie ich hörte, Präsident Kennedy im Bildungsbereich Druck, um das Begabtenpotenzial der USA besser zu erschließen. An der Harvard-Universität, an der er selber studiert hatte und wo die Studiengebühren pro Jahr 52.000 Dollar betrugen, was eine unerhört hohe Schwelle darstellte, wurden die Gebührensätze korrigiert, die heute noch gelten: 70 Prozent der Studenten erhalten Stipendien, und/oder erhebliche Teile der Studiengebühren werden ihnen erlassen. Wenn das Familieneinkommen der Eltern unter 65.000 Dollar im Jahr liegt, müssen keinerlei Studiengebühren bezahlt werden. Dank Sputnik-Schock können an der ältesten Universität der USA, die auch international renommiert ist, junge Menschen studieren, die es sich sonst nicht hätten leisten können.
Und bei uns? Laut dem nationalen Bildungsbericht der Bundesregierung von 2012 sind 50.000 junge Menschen ohne Schulabschluss. 300.000 Ausbildungssuchende, das sind 30 Prozent, landen in Übergangsschleifen. 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren sind ohne Berufsabschluss. 7,5 Millionen Menschen oder 14,5 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten. 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren
Weitere Kostenlose Bücher