Wie weiter?
wollen. Es muss auch mit dem Menschenbild der Konservativen zusammenhängen. Aber das ist widersprüchlich. Es heißt: Wir haben einen flexiblen Arbeitsmarkt. Menschen müssen dorthin gehen, wo Arbeit ist, sie können nicht erwarten, dass sie dort, wo sie geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, auch einen Job bis zur Rente haben werden. Sie müssen auch das Bundesland wechseln. Auf der anderen Seite präferiert die Union die konservative Familie mit mindestens drei Kindern, die im eigenen Reihenhaus oder Eigenheim lebt, im lokalen Kirchenchor und im Schützenverein integriert, also ganz bodenständig verankert ist. Das eine passt irgendwie nicht zum anderen. Das Häuschen kann man so wenig mitnehmen wie den Kegelverein. Aber fast noch schlimmer ist es, wenn in der Familie schulpflichtige Kinder sind. Die »flexiblen« Eltern verhalten sich gegenüber ihren Kindern geradezu verantwortungslos, wenn sie in ein anderes Bundesland ziehen. Dort herrscht nämlich ein anderes Schulsystem, was meist die Kinder beim Lernen zurückwirft.
Die Tränen der Konservativen, dass es zu wenig Kinder gäbe, sind Krokodilstränen. Sie können auf der einen Seite nicht den flexiblen Arbeitnehmer fordern und sich auf der anderen Seite wundern, weshalb er sich von allem hinderlichen »Ballast« befreit, indem er von vornherein auf Kinder, Familie, Haus, Freunde verzichtet. Kinder waren mal ein Sicherheitsfaktor für die Familien, inzwischen sind sie ein Unsicherheitsfaktor. Die gesellschaftlichen Bedingungen sind nicht so, dass man gern Kinder in die Welt setzt.
Der flexible Arbeitnehmer soll also der Arbeit nachfolgen. Aber wenn er nur einen Arbeitsvertrag über sechs Monate oder ein Jahr bekommt? Dafür zieht man doch nicht um und verlegt seinen Wohnsitz. Also wird gependelt, eine Wohnung oder ein Zimmer am Arbeitsort gemietet, das bedeutet mitunter eine Verdopplung der Lebenshaltungskosten (zwei Haushalte, Fahrkosten etc.), so dass am Ende herauskommt: Die Arbeit ist zu teuer, man kann sie sich nicht leisten. Also meldet man sich lieber arbeitslos.
Aber zurück zu den Kindern.
Wir brauchen gleiche Bildungsstrukturen in allen Bundesländern – beginnend bei den Kindertagesstätten, die eben nicht lediglich Kinderaufbewahranstalten sein dürfen, sondern auch Lernorte sein müssen. Nicht grundlos waren die Kindergärten in der DDR dem Ministerium für Volksbildung unterstellt, während die Kinderkrippen – für Kleinkinder bis drei Jahre – dem Gesundheitsministerium unterstanden. Heute sollten alle Kindertagesstätten ebenfalls als Bildungseinrichtungen verstanden werden. Und ich möchte, dass möglichst viele Kinder in Kitas gehen, weil sie dort sozial lernen, besser und mehr jedenfalls als in der Familie. Deshalb bin ich auch ein entschiedener Gegner des Betreuungsgeldes. Wir dürfen Eltern nicht dafür bezahlen, dass sie verhindern, dass ihre Kinder in der Kita gemeinsam mit anderen lernen. Ferner: Wir brauchen in diesen Kindertagesstätten gut ausgebildetes, qualifiziertes Personal. Und der Aufenthalt muss gebührenfrei sein, gesundes Essen inklusive. Wir geben so viel Geld für Unsinn aus, hier wäre es sinnvoll angelegt, es wäre eine Investition in die Zukunft. Wie viele Kitas hätte man allein mit der verpulverten halben Milliarde für diese schädliche Spionagedrohne finanzieren können?
Das gegliederte Schulsystem stammt aus dem Kaiserreich. Wir haben es bis heute nicht überwunden. Ich will stattdessen die Gemeinschaftsschule. Von ihren Gegnern wird sie als »Einheitsschule« diffamiert. Gemeinschaftsschulen lassen sich ganz unterschiedlich ausrichten. Man kann welche für alte Sprachen, für neue Sprachen, für Musik, für Sport, für Tanz und für Mathematik und Naturwissenschaften einrichten. Man kann das sehr unterschiedlich gestalten. Die Vorteile der Gemeinschaftsschule, wie wir sie in Berlin eingerichtet haben, sind klar erkennbar: Es gibt bis zum Abitur keinen Schulwechsel mehr und keine feste Aufteilung in nach Leistung sortierten Gruppen, sondern individualisierte Förderung nach den jeweiligen individuellen Fähigkeiten. Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen. Das alles ist ein großer Vorteil.
Als die Gemeinschaftsschulen in Berlin ihre Tätigkeit aufnahmen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeitgleich begonnen, die Entwicklung der dortigen Schülerinnen und Schüler mit der von Schülerinnen und Schülern in Hamburg zu vergleichen. Bei dieser Untersuchung kam heraus: Die
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