Wie wollen wir leben
überhaupt?
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Wahrscheinlich wäre ohne diese MaÃnahmen die Geburtenrate noch geringer. Weitere wird man sich überlegen müssen. Wir müssen aber auch sehen: Solange die Mehrzahl der Frauen daheim war und sich vornehmlich um den Haushalt kümmerte, war die Kinderzahl höher. Das hat sich geändert, als immer mehr Frauen auch die berufliche Gleichberechtigung erkämpft haben. Für die Gleichberechtigung bin ich stets eingetreten. Und das tue ich weiterhin. Ãbrigens: Die SPD hat unter meinem Vorsitz 1988 als erste der herkömmlichen Parteien eine Frauenquote in Höhe von 40 Prozent eingeführt, die inzwischen als Geschlechterquote
gelegentlich auch schon von Männern in Anspruch genommen wird. Aber jetzt die Frauen mit hohen Geldzahlungen â und das nur bei Akademikerinnen â zu längeren Berufsunterbrechungen und zu mehr Kindern zu bewegen, das halte ich für einen bedenklichen Vorschlag. Besser wäre es, die Männer dafür zu gewinnen, dass sie in solchen Fällen ihre Berufstätigkeit ebenso häufig und in gleichem MaÃe unterbrechen, wie man das von den Frauen erwartet. Das Elterngeld und die dort vorgesehenen Vätermonate sind ja ein Schritt in diese Richtung.
Jetzt aber zum eigentlichen Problem. Es stimmt: Wenn man sich nur die Beitragszahler der Rentenversicherung anschaut, erreichen wir in nicht allzu ferner Zeit ein Verhältnis von eins zu eins, ein Beitragszahler, ein Rentner. Wir sind jetzt schon bald bei 1,3. In diesem Zusammenhang hat die SPD einen sehr vernünftigen Vorschlag gemacht: nämlich die Einführung einer Bürgerversicherung, bei der nicht nur die, die in bezahlter Erwerbsarbeit stehen, Beiträge leisten, sondern alle, die ein Einkommen haben. Also auch Selbstständige. Gäbe es diese Bürgerversicherung, dann sähe es schon besser aus.
Dass die starre Altersgrenze von fünfundsechzig nicht mehr der Realität entspricht, darüber haben wir schon gesprochen. Wir haben heute nicht mehr drei Abschnitte im Leben, sondern vier. Jugend, volle Erwerbstätigkeit, die jungen Alten und die alten Alten. Ich bin natürlich ein alter Alter. Unter den jungen Alten gibt es viele, die gern noch aktiv sind. Das setzt aber voraus, dass sie Arbeit bekommen. Neuerdings höre ich, dass Unternehmen bereits nach älteren Facharbeitskräften suchen. Immerhin!
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Sprechen wir weiter über die Art und Weise, wie wir leben wollen und welchen Anteil die Politik dabei haben kann. Bei der Familiengründung haben wir gesehen, welche Möglichkeiten des politischen Handelns es gibt. Mit der Anrechnung der Kindererziehungszeiten auf die Rente bis zum Elterngeld und den Vätermonaten ist eine Menge passiert. Aus finanziellen Gründen wird man das momentan nicht ausdehnen können, aber vielleicht später einmal. Trotzdem ist die Geburtenrate nicht wesentlich gestiegen â kann man da im Umkehrschluss sagen, die Politik kann sich hier eigentlich ganz zurückziehen, da sie das nicht beeinflussen kann, es geht um andere Ursachen?
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Wenn der Staat nicht gehandelt hätte, wäre die Zahl der Kinder, die auf die Welt kommen, noch niedriger. Deshalb muss man an diesen MaÃnahmen festhalten. Und man muss sorgfältig überlegen, wo man â etwa bei der Kinderbetreuung und deren Kosten für die Eltern â noch deutlich verbessern kann. Einen Kernbereich nannte ich schon. Gefordert sind auch die Betriebe. Sie sollten Frauen in der Zeit der Schwangerschaft und vor allem danach Erleichterungen schaffen, beispielsweise durch Betriebskindergärten oder Arbeitszeitkonten, die dann später wieder ausgeglichen werden können. Oder durch Erleichterungen für den Wiedereinstieg.
Nur am Rande: Allein schon aus demografischen Gründen werden wir weiterhin eine gewisse Zuwanderung brauchen. Denn ich sehe nicht, wie wir ein erträgliches Leben führen können, wenn unsere Einwohnerzahl von knapp zweiundachtzig Millionen auf gut sechzig sinken und gleichzeitig unser Durchschnittsalter weiter steigen würde.
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Aber Zuwanderer sind keine Deutschen, beklagt Thilo Sarrazin, deswegen schafft sich Deutschland ja ab.
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Auch da irrt er. Die Zahl derer, die sich in der zweiten und dritten Generation von den hier Ansässigen kaum oder gar nicht mehr unterscheiden â also im Grunde Deutsche geworden sind â, ist viel gröÃer, als man annimmt.
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Aber Deutsche nur dem
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