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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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zu sein als Maiken. Das Scheitern der Ehe hätte eine
Erleichterung für sie sein müssen – aber sie war
entsetzt. Verletzter Stolz hatte ihr zugesetzt wie eine schwere
Krankheit, die Nachwirkungen spürt sie bis heute. Wie mag Tönges
sich fühlen? Das Geschwafel von gegenseitigem Einvernehmen ist
mit Sicherheit gelogen.
    Â»Du hast es ziemlich lange mit deinem Mann ausgehalten. Hast
du die ganze Zeit gehofft, er könnte sich in deinem Sinn
verändern?«
    Â»Nein, nur am Anfang. Ich dachte, er würde mit der Zeit
ausgeglichener werden. Häuslicher. Ich war sehr oft sehr
unglücklich, glaub mir.Aber ich hatte einfach nicht die Kraft,
ihn zu verlassen.«
    Â»Und jetzt hast du sie?« Liv hört, wie gepresst
ihre Stimme klingt, ihre Fingerspitzen kribbeln wie vor einer
Ohnmacht, aber es bedeutet eher das Gegenteil, das ist ihr klar. Sie
ist kurz davor, auszurasten. Tönges'Abwesenheit, die vergeudeten
Jahre mit Janko, die Zeit danach, ihr Versagen als Mutter – und
ihre Unfähigkeit, in all dem einen Sinn zu erkennen.Die Wut
rollt auf sie zu wie eine Flutwelle. Sie steht auf und stellt sich
ans Fenster. Der Regen fällt unermüdlich. Gleichgültig.
    Â»Ja, Liebes, jetzt fühle ich mich endlich stark genug«,
sagt Henny.
    Liv lässt die Arme hängen, die Finger trommeln kaum
hörbar einen schnellen Rhythmus auf ihren Hosenbeinen, sie
registriert es mit Erstaunen, als gehörten sie nicht zu ihr. Das
Kribbeln wird stärker. Es hängt damit zusammen, dass ihre
Großmutter sie aus Gewohnheit oderHarmoniestreben beharrlich
Liebes nennt, obwohl sie Liv eindeutig und zu Recht nicht als lieb
empfindet. Jeder Satz von ihr ist eine Abrechnung, garniert mit
Zucker. Dazu diese gepflegte Bürgerlichkeit drinnen und draußen,
feines Porzellan, Earl Grey, die akkuraten Rasenkanten, Häkelspitze
auf dem polierten Kirschholztisch, die vollkommene Abwesenheit von
Schmutz, und sei es nur Staub auf einer Zimmerorchidee –
Zunder, wohin Liv blickt. Jetzt sehnt sie sich zurück inAarons
aufrichtiges Teenagerchaos.
    Plötzlich kommt Liv ein Gedanke. »Hast du jemand
anderen?«, fragt sie und ist zugleich sicher, die Antwort zu
kennen. Bei Janko hat das Kennenlernen von Ehefrau Nummer zwei
jedenfalls die entscheidenden Kraftreserven für eine Trennung
freigesetzt.
    Henny nickt.
    Â»Na bravo.Herzlichen Glückwunsch.« Unvergessen
der letzte Akt ihrer Ehe, für Janko die Testphase der neuen
Beziehung. Er wollte nicht das Risiko eingehen, am Ende allein
dazustehen, verständlich aus seiner Sicht, einfältig von
ihr, nichts zu ahnen, sich nicht zu wundern, als von heute auf morgen
Verve in ihr inzwischen reichlich flaues Liebesleben kam. Janko frei
von Hörigkeit, berauscht, potenter als je zuvor, weil zum ersten
Mal seit der Trauung Herr der Lage. Machtspiele. Die bittere
Erfahrung, austauschbar zu sein. Liv wird übel, als ihr bewusst
wird, wie sehr das Gefühl der Erniedrigung sie heute noch
schwächt. Sie will nicht schwach sein.
    Â»Bist du in Ordnung, Liebes? Reg dich bitte nicht auf, das
ist wirklich eine Angelegenheit zwischen Tönges und mir«,
sagt Henny.
    Liv starrt auf einen bestimmten Punkt am Hals der Großmutter,
wo sich unter dem Rollkragenpullover das Brustbein abzeichnet. Genau
oberhalb davon würde sie ihre Daumen ansetzen, um ihr die Luft
abzudrücken, ganz leicht ginge das, und die freundliche alte
Dame hätte ihr letztes »Liebes« in die Welt
gehaucht. Liv zittert. Sie will es, kein Zweifel, für den
Bruchteil einer Sekunde will sie es wirklich. Sie will ihre eigene
Großmutter würgen, sich an Henny abreagieren, obwohl sie
nichts oder fast nichts mit Livs Wut zu tun hat. Schockiert über
sich tritt sie mit aller Kraft gegen das Tischchen, auf dem das
Teegeschirr steht. Porzellan splittert, Holz zerbricht. Earl Grey auf
weißen Fließen.
    Henny ist starr vor Schreck. »Jetzt schau dir das an, Liv.
Du bist wirklich genau wie Tönges, das geht so nicht. Ich
ertrage das nicht mehr. So kann man doch nicht leben«, stößt
sie hervor, eine Hand vor dem Mund, in der anderen die eigene,
unversehrt gebliebene Tasse.
    Höchste Zeit zu gehen. Liv hetzt zur Tür, gefolgt von
ihrer Großmutter. Warum kann die nicht noch zwei Minuten auf
ihrem Hintern sitzen bleiben und weiterzetern? Aber nein, sie muss
die Form wahren, die Enkelin zur Tür geleiten und ihr den Parka
bringen,

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