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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Hamburg ihr erklärt: »Wenn
du als Landratte aufs Meer hinaus fährst, halt dich die ersten
Tage an Wasser schadlos.Andernfalls wirst du garantiert seekrank. Und
das willst du nicht, glaub mir.« Sie befolgt seinen Rat und
bleibt gesund. Im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen. Die
bekommen außer dem Speisesaal und der eigenen Kajüte nicht
viel zu sehen auf der Reise.
    Dieses besondere Licht, das sie auf dem Schiff verzauberte,
begleitet Fritzi seither.Auf Bjarg ist es im Frühling und Sommer
oft zu sehen, im Winter mit seiner arktischen Dunkelheit nur selten.
Es lässt alles andere armselig erscheinen: besonders den
Menschen und seine Besitztümer, seinen Stolz und seine Not,
dabei verhöhnt es nicht, nein, es tröstet. Nach den
tagelang anhaltenden Niederschlägen und den vielen düsteren
Wachträumen im Bann des Todes fasst Fritzi neuen Mut. Sie hat
gesündigt und gelitten, aber sie hat auch gute Tage gesehen,
ereignislos und dabei erhaben in ihrer Schlichtheit. Einige auf
Fehmarn, die meisten in ihrem zweiten Leben. Es könnten ja noch
welche von der Sorte auf sie warten. Unwahrscheinlich, jedoch nicht
ausgeschlossen. Dafür lohnt es sich aufzustehen.Alt zu werden,
das ist ein einziges starrköpfiges Trotzdem.
    Am 26. April 1949 erschien in den Lübecker Nachrichten ein
Inserat: »Island will Arbeitskräfte verpflichten.
Zweihundertdreißig Landhelferinnen gesucht.«
    Möglichst ledig, stark und von ausgeprägt weiblicher
Erscheinung sollten die Immigrantinnen sein. Das hat Liv bereits
daheim via Internet herausgefunden, ebenso die Tatsache, dass aus
mehr als zweitausend Bewerbungen, überwiegend von Männern,
insgesamt zweihundertachtunddreißig Frauen für die Arbeit
auf isländischen Bauernhöfen ausgewählt wurden. Auch
sechsundsiebzig Junggesellen erhielten die begehrten Tickets zur
Ausreise aus dem besiegten Land, wo wohl vom Aufkommen des
Wirtschaftswunders noch nicht viel zu spüren war. Die Stimmung
in der Heimat muss nach dem Krieg jedenfalls miserabel genug gewesen
sein, um diese jungen Leute dazu zu bringen, einer ungewissen Zukunft
in einem kargen Land entgegenzureisen.
    Liv wünschte, sie könnte sich mit Tönges darüber
unterhalten. Er hat ein gutes Gedächtnis und erinnert sich
vermutlich lebhaft, wie es damals auf den Straßen der
geschändeten Städte zugegangen ist. Stattdessen sitzt sie
in Reykjavík einem Mann um die dreißig gegenüber,
der den Zeitgeist jener Jahre ebenso wenig kennen dürfte wie
sie. Ein schmaler Typ mit wenig ausgeprägten Zügen, äußerst
unauffällig, abgesehen von seinem Zungenpiercing: ein vertikal
in der Zungenmitte platzierter Silberstecker. Ragnar Kjartansson
wurde ihr vom Historischen Institut der Universität als Experte
für die Geschichte der deutschen Frauen in Island empfohlen.
Laut ihrer Recherchen ist er auch als Rechtsanwalt und
Elfenbeauftragter tätig. Was Letzteres bedeutet, hat sie sich so
zusammengereimt: Im Auftrag von Baufirmen und lokalen Verwaltungen
erstellt er Gutachten darüber,ob ein geplantes Bauprojekt auf
Widerstand stoßen könnte, weil der Wohnsitz einer oder
mehrerer Elfen davon betroffen ist. Denn die haben anscheinend in
Island denselben Stellenwert wie in Deutschland irgendwelche seltenen
Vögel, die, ebenso wie Elfen, zwar niemand je zu Gesicht
bekommt, die aber dennoch die Planungen für zukünftige
Straßen, Bahnstrecken oder Flughäfen zunichte machen
können, sobald irgendein Ornithologe behauptet, es gebe
Anzeichen für Brutplätze. Beweise: überflüssig,Artenschutz
ist Trumpf.
    Wie die deutschen Naturschützer – Liv kennt einige von
ihnen, weil es auch gegen Sprengungen hin und wieder Proteste gibt –
zeigt auch der Elfenkundler keinerlei Anzeichen von Humor. Er war ihr
auf Anhieb unsympathisch, was unter anderem an der Duftkerze liegt,
die auf seinem Schreibtisch brennt. Ein Vanillearoma. Welcher Mann
benutzt so etwas?
    Liv unterdrückt ein Gähnen. Die Unterhaltung in
englischer Sprache gestaltet sich zäh, da Liv zu ihrer
Bestürzung Schwierigkeiten hat, ihrem Gedächtnis die
benötigten Vokabeln zu entlocken, zudem bereitet die Aussprache
Mühe. Sie war überzeugt, ihr Schulenglisch sei noch absolut
präsent, eine lästige Fehleinschätzung. Ihr Gegenüber
teilt diese Probleme nicht, sein Englisch ist fließend, auch
das Edelmetall in seinem

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