Wiedergaenger
unterbricht sie und Rúnar beim
Sex, ein früher Zeitpunkt, der Fernseher läuft noch mit den
isländischen Spätnachrichten, die er nebenbei verfolgt. Sie
haben gerade erst angefangen, Zärtlichkeiten auszutauschen, die
Kleidung ist in Unordnung geraten, der Atem geht schneller, mehr ist
noch nicht geschehen. Dennoch:Auf Livs Bericht nach dem Telefonat
reagiert Rúnar anders, als erwartet: unwirsch, aggressiv.
»Trollatunga. Weißt du, wo das ist?«
»Ragnar sagte, in den Westfjorden.«
»Weißt du, wo die sind?«
»Nein.«
»Sehr, sehr weit weg. Das Ende vom Ende der Welt,
sozusagen.«
»Das macht nichts. Ich muss da hin.« »Wegen
eines Namens?«
»Warum nicht? Das ist doch was, ein Name. Immerhin.«
Er versuchtes anders: »Dieser Ragnar ist ein Spinner. Das
müsste dir doch aufgefallen sein. Wieso gibt sich jemand wie du
überhaupt mit dem ab?«
»Du kennst ihn?«
»Jeder kennt ihn.«
»Ist doch eine gute Voraussetzung.«
In dieser Tonart geht es noch eine Weile hin und her, bis Rúnar
aufspringt, in der Schreibtischschublade des Hotelzimmers eine
Landkarte der Insel sucht und findet und diese auf der Bettdecke vor
ihr ausbreitet. Er deutet auf eine Halbinsel links oben unter dem
Polarkreis, die Küstenlinie zerfasert, keine größeren
Ortschaften, keine Straßen. Ob sie da wirklich hinwolle, fragt
er, und als sie bejaht, kratzt er sich am Hinterkopf und bietet ihr
seinen Geländewagen für die Fahrt an, die in weiten
Strecken über Schotterpisten führen wird.Seine Begleitung
wäre ihr lieber gewesen, aber da er arbeiten muss - eine
Beerdigung und eine Hochzeit –, gibt sie sich mit dem Auto
zufrieden. Mit dem Sex wird es nichts mehr in dieser Nacht.
Als Liv am nächsten Morgen aufwacht, ist Rúnar
verschwunden. Kurz darauf taucht er wieder auf und überreicht
ihr die Autoschlüssel und eine Thermoskanne. »Kaffee.
Extra stark.«
»Danke. Was glaubst du, wie lange ich brauchen werde?«
»Mindestens sechs Stunden.« Er will noch etwas sagen,
hält inne und überlegt es sich anders, begleitet sie
stattdessen zum Wagen. Liv nimmt hinter dem Steuer Platz, stellt den
Sitz und Rückspiegel auf ihre Größe ein, während
er neben der geöffneten Fahrertür stehen bleibt, in der
Hand immer noch die Thermoskanne.
»Willst du wirklich fahren?«
»Natürlich.«
»Es könnte Schnee geben.« »Und wenn schon.«
»Du hast keine Ahnung, was du sagst.«
Ein Kuss zum Abschied, und Liv fährt ab. Im Rückspiegel
sieht sie ihn winken – mit der Kanne, die für sie bestimmt
war, ansonsten splitternackt, was ihr einen kräftigen Schrecken
einjagt.
Er ist ihr erster Nackter mit Thermoskanne. Liv bremst abrupt und
setzt nach kurzem Zögern zurück. Sie traut ihren Augen zwar
in Bezug auf den Kaffee, hält es jedoch keinesfalls für
möglich, dass Rúnar tatsächlich ohne Kleider auf der
Straße steht, und entscheidet sich, ihre Vision als Wink mit
dem Zaunpfahl zu begreifen. Liv schmunzelt über ihre Phantasie,
hält sich für liebestoll und ist zugleich verwundert, wie
nüchtern sich das anfühlt.Als sie ihn erreicht und das
Fenster öffnet, sind Schuhe, Jacke und Hose, alles in Schwarz
und Grau, wieder an Ort und Stelle.
»Was starrst du mich so an?«
»Ach, nur so.« Wie soll sie das erklären?
Er wittert die Lüge. »Sag schon.«
»Es ist mir peinlich.«
»Macht nichts.«
»Eben hab ich dich nackt gesehen. Auf der Straße. Du
hast mit der Thermoskanne gewunken.«
Bildet sie es sich nur ein, oder wird er wirklich bleich wie kurz
vor einer Ohnmacht?
Er reicht ihr den Kaffee. »Das ist ein schlechtes Zeichen.«
»Wofür?«
Keine Antwort.
Liv ist verlegen. Sie weiß wenig über isländisches
Schamgefühl und hofft inständig, es nicht verletzt zu
haben. »Wofür ist das ein schlechtes Zeichen, wenn ich
dich nackt sehe?«, wiederholt sie ihre Frage.
Er sieht immer noch verstört aus, formt die Lippen aber mit
einiger Anstrengung zu einem schiefen Lächeln. »Für
deinen Hormonspiegel.«
Unterwegs Richtung Nordwest: Sonnenschein, hohe Schönwetterwolken,
kaum Verkehr, wenngleich Liv noch auf der gut ausgebauten Ringstraße
eins fährt, der Hauptverkehrsroute der Insel.Anfangs
konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit auf die kobaltblaue Weite
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