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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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es kaum fassen: Sie ist am
Ziel. Mehr Glück als Verstand.Allerdings hat sie die Hausherrin
bereits lange genug betrachtet, um festzustellen, dass es sich nicht
um Tönges' Schwester handelt. Keine Familienähnlichkeit,
keine Gemeinsamkeiten mit der Frau auf den Zeichnungen. Die richtige
Inga würde sie auf der Stelle erkennen. Davon ist Liv inzwischen
fest überzeugt. Schade. Wäre auch zu schön gewesen.
    Â»Sie wollten zu mir?«
    Liv nickt. Der Geruch der Suppe steigt ihr wieder in die Nase.
    Â»Und warum, wenn ich fragen darf?« »Könnte
ich zuerst etwas zu essen bekommen?«
    Bald darauf sitzt sie im Wohnzimmer auf einem zerschlissenen Sofa
mit Cordbezug, eingehüllt in eine Wolldecke, ein trockenes
Gegenstück zu der von Rúnar, die jetzt über der
Heizung hängt. Liv hat sich ausgezogen bis auf die Unterwäsche.
Die ist zwar auch nass, aber um sich ganz zu entblößen,
geniert sie sich zu sehr, sogar unter der Decke. Immerhin ist gut
geheizt, wie überall in isländischen Häusern dank der
spottbilligen Energie.
    Inga Hreinsdottir serviert einen Teller Fischsuppe und etwas Brot,
das seine besten Tage auch schon hinter sich hat. Während Liv
schweigend vor sich hin löffelt, erzählt die Alte
ausführlich, auf welche Weise sie den Kabeljau zubereitet und
gewürzt hat.
    Liv hört halbherzig zu, nickt gelegentlich und genießt
das eigentlich unangenehme Kribbeln in Armen und Beinen, weil es ihr
signalisiert, dass Wärme und Leben in ihre Adern zurückkehren.
Sie weiß nicht, wie gefährdet sie dort draußen im
Schneesturm wirklich gewesen ist, aber sie glaubt, es war knapp. Im
Nachhinein ein erhebendes Gefühl.
    Â»So, und jetzt zu Ihnen«, sagt die Alte, sobald Liv
den letzten Löffel Suppe verspeist hat.
    Â»Ich suche meinen Großvater und seine Schwester«,
setzt Liv an.
    Â»Ach ja?« Erstmals hellt sich die bislang konsequent
entnervte Miene von Inga Hreinsdottir auf, als hätte der
fortgeschrittene Abend nun endlich eine Wendung genommen, die ihr
zusagt, und sie holt eine Flasche Branntwein, den sie »Schwarzen
Tod« nennt, zwei Gläser und schenkt großzügig
ein. »Dann erklären Sie mal, warum ausgerechnet ich Ihnen
dabei weiterhelfen soll. Aber bitte ausführlich. Ich will die
ganze Geschichte hören.«
    Also erzählt Liv, erschöpft, wie sie ist. Der Schnaps
erweist sich als hilfreich.Am Ende haben sie bereits drei Mal
angestoßen und die Flasche zu zwei Dritteln geleert. Zuletzt
zeigt sie der Alten das Foto von Tönges und die Zeichnungen. Ein
Bild der jungen Inga Engel betrachtet Inga Hreinsdottir ausgiebig,
abwechselnd mit und ohne Lesebrille. »Das Mädchen habe ich
schon mal irgendwo gesehen.Aber ich kann mich nicht erinnern, wann
und wo. Beim besten Willen nicht.«
    Am nächsten Morgen. Liv steht am Fenster,einen Becher
Instantkaffee in der Hand, stark, ohne Milch, den Blick auf den Fjord
gerichtet. Trüber Himmel, bei klarer Sicht. Kaum einen Kilometer
entfernt steht Rúnars Geländewagen auf einem vereisten
Seitenarm des Fjordes, laut ihrer Gastgeberin ist das Wasser dort
flach.Absolut keine Gefahr einzubrechen. Zudem hätte sie ohne
die verdammte Kletterpartie zum Haus gelangen können, denn das
steht direkt am Strand. Blind wegen des Wetters, hat sie den langen
und gefährlichen Weg genommen.
    Nicht nur diese Feststellung bereitet Liv schlechte Laune.
Schlimmer ist, dass sie festsitzt. Nach dem Schneesturm ist die Piste
gesperrt, mit der Ankunft des Räumfahrzeugs rechnet die
Hausherrin nicht vor dem Abend. Frühestens. Die Männer, die
den Schneepflug fahren, sind dazu auserkoren, Rúnars Jeep vom
Eis zu holen. Ob sie ihn auch reparieren werden,das vermag Inga
Hreinsdottir nicht zu sagen. Es seien hilfsbereite Jungs.
    Inzwischen weiß Liv einiges über ihre Lebensretterin:
Sie hat in den Westfjorden fünf Kinder aufgezogen, nachdem sie
als Deutsche nach dem Krieg mit einem Fischkutter ins Land gekommen
war. Der Grund: Sie hatte sich im Nachkriegsdeutschland in der
Sowjetzone etwas zuschulden kommen lassen, was, das behielt sie für
sich. Wie so viele der Einwanderinnen hatte sie ihren damaligen
Arbeitgeber geheiratet und sitzt seitdem auf dem Hof regelrecht fest.
Eine mehr oder weniger freie Entscheidung. Jetzt jedenfalls traut sie
sich nicht einmal mehr bis in die Hauptstadt. Zu ihrem Heimatland und
den Angehörigen im Landkreis Vechta

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