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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Niemandsland
schockgefroren zu werden.
    Liv rappelt sich auf und marschiert weiter.
    Bis sie in der Ferne ein Licht sieht, gelbes, warmes Licht wie von
einer Glühbirne. Von da an rennt sie nur noch, mobilisiert
Kraftreserven, von deren Existenz sie nichts ahnte, sie katapultiert
sich voran, auf das Licht, die Wärme zu. Da muss ein Haussein.
Muss einfach. Wenn nicht, ist eben Schluss. Schicht im Schacht, wie
Tönges gesagt hätte.Aber so weit soll es nicht kommen.
    Verschwitzt und vereist zugleich und lauter keuchend, als der Wind
zu heulen vermag, erreicht Liv den hellen Schein, ja, halleluja, sie
hatte recht, er gehört zu einem Fenster, gegen das sie nun mit
beiden Fäusten hämmert, bis eine Außenbeleuchtung
aufglimmt, die Haustür einige Meter rechts von ihr einen
Spaltbreit geöffnet wird und eine Frauenstimme etwas
Unverständliches ruft. Sie will antworten, bekommt aber keinen
Ton heraus, und während der letzten Meter bis zum Eingang werden
ihre Glieder weich wie Gummi, und sie merkt, wie sie langsam das
Bewusstsein verliert, zuletzt funktioniert nur noch die Nase, und die
täuscht sie selten. Drinnen riecht es nach Suppe.
    Â 

Trolle
    Unkraut vergeht nicht. Fritzi ist der beste Beweis. Dank der
Fürsorge ihrer Tochter, Bjarneys und der Nachbarschaft macht
ihre Genesung neuerdings Fortschritte.Als sie, endlich allein und
ungestört, Haus und Hof inspiziert, findet sie eine Reihe von
Veränderungen vor: Vorratskammer und Kühlschrank sind zum
Bersten gefüllt, lauter Konserven und andere lang haltbare
Lebensmittel, die sie nicht mag, dazu stapelweise Fertiggerichte. Der
Stall ist leer, ebenso die Hauswiese – von den Kühen keine
Spur. Drinnen Sauberkeit zum Fürchten, alles ist blitzblank
geputzt und riecht nach Sterilisation, sogar in den Küchenschubladen
wurde gewischt – auf solche Ideen kann nur die Tochter kommen.
Dafür hat sie den Gemüsegarten verwildern lassen.
    So geht's ja nun nicht.
    Obwohl noch etwas wackelig auf den Beinen, will Fritzi sogleich
die Harke aus dem Schuppen holen, doch sie kommt nicht dazu. Kaum hat
sie die Herrschaft über Bjarg zurückerlangt, lassen sich
ihre Retter blicken, vorgeblich, um nach ihr zu sehen, dabei sind sie
leicht zu durchschauen. In Wahrheit geht es einzig und allein
darum,ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, weil sie sich weigert,
in ein Altersheim nach Reykjavíkzu ziehen. Mit ihrem Eigensinn
habe sie schließlich auch ihren Lieblingsenkel vertrieben,
redet sich die Tochter in Rage. Nur deswegen sei sie jetzt die
Gelackmeierte und habe die Pflege an der Backe.
    Pflege. Dieses Wort und die Erwähnung des Enkels bringen in
Fritzi etwas zum Schwingen, ein hoher sirrender Ton erfüllt sie,
bis es einen Ruck gibt, als würde die dazugehörige Saite
reißen, und sie holt aus und verpasst der Tochter Backpfeifen,
links und rechts. Hinterher fühlt sie sich zwanzig Jahre jünger.
    Jemand schüttelt sie kräftig. Dazu isländische
Beschimpfungen. Vielleicht sind es auch Fragen, die wie
Beschimpfungen klingen, jedenfalls versteht Liv kein Wort, fühlt
sich aber genötigt, die Augen zu öffnen. Sie blickt direkt
in das Gesicht einer alten Frau. Der unangekündigte Besuch zu so
später Stunde scheint unwillkommen. Wer öffnet schon gern
im Morgenmantel die Haustür? Hätte sie sich besser ein
Telefon zugelegt.
    Â»Do you speak English?«, fragt Liv.
    Kopfschütteln.
    Â»Schade«, sagt Liv zu sich selbst.
    Â»Deutsch kann ich«, antwortet die Frau akzentfrei.
    Elektrisiert setzt Liv sich auf und stellt fest, dass sie sich
triefnass und in voller Montur neben der Eingangstür in einem
gefliesten Flur befindet. Um sie herum Wasserpfützen von
geschmolzenem Schnee. Heftiger Schwindel hindert sie am Aufstehen.
    Â»Sie müssen schon allein wieder auf die Beine kommen«,
sagt die Frau. »Noch weiter kann ich Sie unmöglich hinter
mir herziehen. Ich bin nicht mehr die Jüngste, ich hab's im
Kreuz.« Wie zum Beweis rappelt sie sich mühsam hoch, die
Hand gegen den Rücken gepresst. Das Knacken ihrer Hüftknochen
ist nicht zu überhören.
    Liv schätzt die Frau auf Mitte siebzig. Tönges'Alter
ungefähr. Ein Gedanke keimt auf: »Sie sind nicht zufällig
Inga Hreinsdottir von Tröllatunga, oder?«
    Â»Wer sollte ich denn sonst sein? Hier draußen wohnt
doch außer mir keiner mehr.«
    Â»Lieber Himmel.« Liv kann

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